Sündige Seide: Roman (German Edition)
Reynolds?«
Glenn zog schmunzelnd einen Zettel aus der Brusttasche seines schmuddeligen weißen Hemdes und reichte ihn Cassidy. Cassidy las schweigend den Namen und sah Glenn dann fragend an, der vielsagend die Achseln hob.
Das Telefon auf dem Schreibtisch klingelte. Cassidy nahm beim zweiten Läuten ab. »Cassidy.«
»Mr. Cassidy, hier ist Claire Laurent.«
Augenblicklich krampfte sich etwas in ihm zusammen. Mit ihrer weichen, rauchigen Stimme hatte er am allerwenigsten gerechnet. Sie ging ihm ständig im Kopf herum, aber die Fantasien, die sich um sie drehten, hatten wenig mit der Aufklärung des Mordes zu tun.
»Hallo«, sagte er mit gespielter Gleichgültigkeit.
»Wie schnell können Sie herkommen?«
Die Frage kam vollkommen überraschend. Wollte sie gestehen?
»Zu French Silk? Was ist los?«
»Das sehen Sie dann schon. Bitte beeilen Sie sich.«
Sie legte auf, ohne noch etwas zu sagen. Er nahm den Hörer vom Ohr und schaute ihn verdutzt an.
»Wer war das?« fragte Glenn und zündete sich dabei eine Zigarette an.
»Claire Laurent.«
Glenn kniff die Augen zusammen und schaute Cassidy durch eine Rauchwolke hindurch an. »Ohne Scheiß?«
»Ohne Scheiß. Ich erzähle es Ihnen später.«
Ohne sich weiter um den Detective zu kümmern, zog Cassidy sein Anzugjackett über, eilte aus dem Büro und rannte los, um den Aufzug noch zu erwischen. Er schalt sich für seine Hast, rechtfertigte sie aber wieder, indem er sich an ihre Stimme erinnerte. Sie hatte tief und rauchig wie immer geklungen, und doch hatte er etwas anderes aus ihr gehört. Wut? Angst? Dringlichkeit?
Wenige Sekunden später war er im Auto und fluchend unterwegs zum französischen Viertel.
Wie Claire prophezeit hatte, entdeckte er den Grund für ihren Anruf, bevor er French Silk erreicht hatte. Eine Mahnwache von mindestens zweihundert Menschen hatte vor ihrem Gebäude Stellung bezogen. Er brauchte nur ein paar Schilder zu lesen, um zu wissen, wer die Demonstration organisiert hatte.
»Verdammt.« Er parkte im Halteverbot und drängelte sich durch die Neugierigen, bis er einen Polizisten erreichte. »Cassidy, Büro des D. A.«, sagte er und ließ das Lederetui aufklappen. »Warum lösen Sie die Demonstration nicht auf?«
»Sie ist genehmigt.«
»Von wem?«
»Richter Harris.«
Cassidy stöhnte leise. Harris war ultrakonservativ und ein echter Fan von Jackson Wilde. Wenigstens hatte er sich als solcher ausgegeben, um Wählerstimmen zu scheffeln.
Der Cop deutete auf ein Schild, das ein Großmütterchen hochhielt.
»Ist der Katalog wirklich so heiß? Vielleicht sollte ich meiner Alten einen besorgen. Wir könnten ein bißchen frischen Wind im Bett brauchen, wissen Sie?«
Das interessierte Cassidy weniger. »Wie lange geht das schon so?« »Vielleicht eine Stunde. Solange sie friedlich bleiben, lassen wir sie demonstrieren. Ich wünschte nur, sie würden zwischendurch mal was anderes singen.«
Seit Cassidy angekommen war, hatten die Demonstranten dreimal den Refrain von »Onward, Christian Soldiers« gesungen. Geschickt nutzten sie die Anwesenheit der Medien, die zahlreich erschienen waren. Alle örtlichen Fernsehsender waren mit Minicams und aufgeregten Reportern vertreten. Ein Kameramann mit einer 35-mm-Kamera war auf eine Straßenlaterne geklettert, um freien Blick zu haben.
Cassidy bahnte sich wütend einen Weg durch Wildes paradierende Anhänger und ging auf die Seitentür von French Silk zu. Er drückte auf die Klingel.
»Ich hab’ gesagt, ihr sollt euch von der verdammten Tür wegscheren!«
»Hier ist Cassidy aus dem Büro des D. A. Miss Laurent hat mich angerufen.«
Dieselbe Frau wie damals zog die Tür auf und baute sich wie ein wütender Stier vor ihm auf. Ihre Augen waren zu feindseligen Schlitzen in dem breiten, rot angelaufenen Gesicht zusammengezogen. »Schon gut«, hörte er Claire hinter der tätowierten Amazone sagen.
Sie gab den Weg frei. »Danke«, preßte er heraus und trat ein. Sie grunzte und knallte die Tür hinter ihm zu.
Claire sah wunderschön aus, aber nicht so kühl und gefaßt wie gewöhnlich. Von ihrer üblichen Reserviertheit war nichts zu spüren. Ihre whiskeyfarbenen Augen sprühten vor Zorn. Ihre Wangen waren rot. Sie war unverkennbar wütend, aber das zerzauste Haar und die unordentliche Kleidung machten sie aufregender und verführerischer denn je.
»Tun Sie etwas, Mr. Cassidy«, verlangte sie. »Irgendwas. Aber schaffen Sie mir diese Leute vom Hals.«
»Ich fürchte, ich kann nichts tun. Sie
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