Suendiger Hauch
... dann möchten Sie vielleicht nach Guildford kommen und sich die Arbeit einmal ansehen, die dort geleistet wird.«
Kathryns Kopf hob sich mit einem Ruck, sodass sie fast ihren Tee verschüttet hätte. »Oh, Silas - das würde ich liebend gerne tun! Sie haben ja keine Ahnung, wie sehr ich die Stunden unserer gemeinsamen Arbeit vermisst habe.«
»Wir müssten uns natürlich nach dem Unterricht treffen. Und es wäre für eine Frau ausgesprochen unschicklich, besonders für eine Frau Ihres Standes, würde sie in einer solchen Situation entdeckt werden. Aber ich dachte mir, dass Sie kommen möchten, und es ist das Mindeste, was ich für Sie tun kann, um das wieder gutzumachen, was Sie erlitten haben.«
»Oh, Silas, ja. Es gibt eine Menge Dinge, mit denen ich mich inzwischen ebenfalls beschäftigt habe, vorwiegend Kräutermedizin, aber einige von ihnen lassen sich durchaus weiterentwickeln. Ich habe so viel wie möglich gelesen, aber es ist schwierig, moderne Texte zu finden, und über menschliche Anatomie gibt es nicht sehr viel.« Ihr Temperament entlockte ihm ein erfreutes Lächeln. Sie war nicht mehr die würdevolle Herrin des Hauses, sondern die lebhafte junge Frau, die er von früher kannte - die Frau, die vor Begeisterung sprudelte und voller Neugierde und Interesse für das Lernen steckte.
Er beschrieb ihr eines der Projekte, an dem er gerade arbeitete. Zum Beispiel die Erforschung eines zuverlässigen Impfstoffes gegen Pocken. Im Augenblick konnte der Patient zwar häufig gerettet werden, doch war er nach der Impfung so hoch ansteckend, dass diejenigen, mit denen er zusammenlebte und die nicht geimpft waren, erkrankten und häufig starben. Die meiste Zeit über beschäftigten sie sich mit den komplizierten Zusammenhängen und Funktionsweisen im menschlichen Körper oder zum Beispiel mit der Suche nach einem schmerzlindernden Wirkstoff, der bei Operationen eingesetzt werden konnte, oder nach einem Mittel, das die Wundfäule verhindern konnte.
»Es ist sehr aufregend«, sagte er, »obwohl alles sehr langsam vorangeht.«
»Ich kann es kaum erwarten, Sie zu besuchen«, sagte Kathryn.
»Und Ihr Ehemann? Wird der Marquis Sie begleiten?«
Zum ersten Mal seit seiner Ankunft schien sie sich unbehaglich zu fühlen. »Ich fürchte, mein Mann missbilligt mein Interesse für die Medizin fast ebenso sehr wie mein Onkel.« Sie lächelte, wenngleich es ein trauriges Lächeln war.
»Trotzdem muss ich eigentlich nicht befürchten, dass er mich einweisen lässt, weil ich einen alten Freund besucht habe, der zufällig Arzt ist.«
Silas erwiderte ihr Lächeln. »Ich bin froh, das zu hören.« Er stellte seine Teetasse auf dem kleinen Tisch mit der Marmorplatte ab. »Und da ich mich davon überzeugen konnte, dass Sie nun tatsächlich in Sicherheit sind, wird es Zeit für mich, zu gehen.« Sie erhoben sich. »Schicken Sie mir bitte eine Nachricht, wann Sie gerne kommen möchten. Wir haben ein hübsches, geräumiges Haus am Dorfrand gemietet. Es gibt genügend Platz, und Margaret würde sich sehr über Ihren Besuch freuen, das weiß ich.«
Kathryn nahm seinen Arm und brachte ihn zur Tür. Er konnte fast ihre Gedanken in ihrem Kopf umherwirbeln sehen. Er hatte noch nie eine so interessierte und hingebungsvolle Schülerin gesehen wie sie. Und er wollte ihr etwas zurückgeben, sozusagen als Gegenleistung für den Schmerz, den sie hatte erleiden müssen und für den er sich verantwortlich fühlte. Ihm war vollkommen klar, dass ihre Ausbildung das war, was sie sich am meisten wünschte.
»Adieu«, sagte er. »Ich freue mich darauf, Sie bald wieder zu sehen.«
»Das tue ich auch, Doktor. Es dauert vielleicht eine Weile, aber ich treffe die ersten Vorkehrungen so schnei! wie möglich.«
Sie blieb am Eingang zurück, während er zu seinem Zweispänner ging, hinaufkletterte und sich auf den Weg nach Guildford machte. Sie würde kommen, das wusste er, und zwar schon bald. Kathryn Grayson Montaine war eine in allen Belangen des Lebens leidenschaftliche Frau, und ihre Studien gehörten zweifelsohne zu ihren besonderen Leidenschaften.
Er dachte an ihren Ehemann und hoffte, dass er dieses Juwel zu schätzen wusste, mit dem er verheiratet war. Er hatte selten eine Frau gesehen, die über ein so hohes Maß an Mut und Stärke verfügte. Nicht einmal die Grausamkeiten, denen sie durch ihren Onkel ausgesetzt gewesen war, hatten ihren Geist zu brechen vermocht.
Er lächelte, als er an die Studien im College dachte, und freute sich schon
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