Suendiger Hauch
strömte ihnen in die Nase. Hier und da fielen Sonnenstrahlen durch die Fenster und ließen die Staubwolken in der Luft tanzen.
Über ihnen hoben ein paar Männer schwere Heuballen mit großen Mistgabeln auf den Dachboden.
»Ich denke, Robin wäre ein gutes Pferd für den Anfang.«
»Er heißt Robin?«
»Gray’s Robin ist sein vollständiger Name.«
Während sie auf die Pferdebox zugingen, betrachtete Michael den kleinen, gescheckten Wallach mit ehrfürchtigem Blick. »Gray’s Robin. Der ist aber schön, Mylord.«
Das kleine Pferd wieherte leise, und Lucien lächelte. »Er ist nur einen Meter fünfzig hoch und zahm wie ein Lamm. Er ist ein hervorragendes Pferd für dich zum Lernen.« Er wandte sich an einen der Stallburschen, den Kathryn als Bennie Taylor erkannte. »Michael, das ist Bennie. Er kann sehr gut mit Pferden umgehen, und wird dir das Reiten beibringen.«
Bennie beugte sich hinab und schüttelte Michaels Hand. »N’Morgen, Kumpel.« Er sah zu dem gescheckten Wallach hinüber. »Seine Lordschaft hat ein gutes Pferd für dich ausgesucht.«
»Wann können wir anfangen?«, fragte Michael.
Bennie sah zu Lucien, der zustimmend nickte. »Ich würde sagen, wir fangen einfach sofort an.«
»Jetzt? Sofort? Ja!« Michael hüpfte vor Begeisterung auf und ab.
Kathryn sah dem Jungen zu, wie er mit Bennie davonstob, als seien sie seit Jahren dicke Freunde. Das Kind hatte noch nie Scheu vor anderen Menschen gezeigt. Michael war unter Fremden geboren worden, und während der letzten sieben Jahre waren genau diese Fremden sein Leben, seine Familie gewesen.
Sie wandte sich an Lucien. »Du warst wundervoll zu Michael. Ich wollte ihn weg von diesem Ort und in Sicherheit haben. Trotzdem hätte ich nie gedacht, dass du ihn so herzlich aufnehmen würdest.«
Sein dunkler Blick folgte dem Jungen. »Es ist nicht schwer, ein solches Kind zu mögen. Morgen werde ich einen Privatlehrer für ihn suchen lassen, sodass er mit dem Unterricht beginnen kann.«
Kathryn lächelte. »Ob du es glaubst oder nicht, er wird ihm mit dem größten Vergnügen folgen. Alles Neue übt eine unendliche Faszination auf ihn aus.«
»Das habe ich auch schon bemerkt.« Sie wandten sich zum Gehen, und als sie aus dem Raum unterhalb des Dachbodens traten, hatte Lucien seinen Arm um Kathryns Taille gelegt. In dem Moment, als sie unter dem Dach hervortraten, hörten sie Michaels schrillen Schrei. »Mylord! Aufpassen!« Das Kind kam wie von Sinnen auf sie zugerannt und versuchte sie zu erreichen. In diesem Augenblick sah Lucien nach oben. Die schwere Eisenwinde hatte sich aus ihrer Seilverankerung gelöst und schoss mit voller Geschwindigkeit auf Luciens Kopf zu. Lucien warf sich gegen Kathryn, sodass sie zur Seite taumelte und sie beide zu Boden stürzten.
»Mylord! Mylord!« Michael und Bennie kamen angelaufen und blieben nur wenige Zentimeter von ihnen entfernt stehen. »Es hätt’ Sie beinah getroffen! Lieber Gott, es hätt’ Sie fast getötet!« Der Junge zitterte fast ebenso stark wie Kathryn.
Lucien kam wieder auf die Füße und klopfte sich den Schmutz und das Stroh von seiner Kleidung. »Geht es dir gut?«, fragte er Kathryn, während er ihr aufhalf.
»Ich - ich bin in Ordnung. Es geht mir gut. Nur ein wenig erschrocken, das ist alles.« Doch sie zitterte noch immer. Lucien bückte sich, hob den Jungen hoch und drückte ihn fest an seine Brust. »Es geht uns gut. Das haben wir dir zu verdanken, Michael.«
Der Junge schlang seine dünnen Arme um Luciens Hals und verbarg den Kopf an seiner Schulter. Michael hatte nie einen Vater gehabt, und es war offensichtlich, dass er Lucien soeben adoptiert hatte. Kathryn spürte, wie sich ihre Brust schmerzhaft zusammenzog.
»Ist schon in Ordnung, mein Kleiner«, beruhigte ihn Lucien. »Es war ein Unfall. Manchmal passieren eben solche Dinge.« Er stellte den Jungen wieder auf den Boden, und Kathryn zog ihn an sich, während Lucien sich umwandte, um die Seilwinde in Augenschein zu nehmen. Sie war groß und schwer und hätte ihn, wäre sie auf ihn gefallen, ohne Zweifel getötet.
Ein neuerliches Zittern durchfuhr Kathryn.
»Was ist passiert?« Lucien musterte die Männer, die auf dem Dachboden standen und nun allesamt nach unten starrten, mit einem scharfen Blick. Einer von ihnen trat nach vorn, das Gesicht ebenso bleich wie das von Kathryn.
»Kann’s nich’ mit Sicherheit sagen, Mylord. Wir haben hier den ganzen Morgen ohne Probleme gearbeitet. Ich denk, das Seil muss sich gelöst haben.
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