Suendiger Hauch
jetzt darauf, seine Erfahrungen und Kenntnisse der vergangenen Monate mit seiner ehemaligen Schülerin zu teilen.
19
Einige Zeit verstrich. Obwohl Kathryn auf eine schnelle Möglichkeit gehofft hatte, Dr. Cunningham zu besuchen, bot sie sich ihr nicht. Sie tröstete sich, indem sie viel Zeit mit dem kleinen Michael verbrachte, der sich in die Routine des Tagesablaufs eingewöhnt hatte, sodass es schien, als lebte er bereits seit seiner Geburt in dem Schloss. Inzwischen hatte er einen Privatlehrer und eine Gouvernante, außerdem hatte Lucien darauf bestanden, dass er gekleidet war wie der Sohn eines Lords und nicht wie eine heimatlose Waise, die der Marquis aus dem St. Bart’s befreit hatte.
Es war verblüffend, wie sehr die beiden zusammengewachsen waren. Wann immer sie sie zusammen sah, fiel Kathryn auf, wie sehr ihr Ehemann Kinder liebte und was für einen wundervollen Vater er einmal abgeben würde. An allererster Stelle standen für Lucien Kinder, und nun, da der kleine Michael ihm gezeigt hatte, wie es sein würde, ein eigenes Kind zu haben, wollte er es umso mehr. Er wollte einen Sohn und Erben und hatte sich mit Feuereifer darangemacht, dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen. Es gab Zeiten, in denen Kathryn, wenn er spät nachts in ihr Schlafzimmer kam, deswegen regelrecht wütend auf ihn war.
In diesen Nächten küsste er sie, berührte sie, flüsterte sanfte Worte der Liebe in ihr Ohr, und innerhalb kürzester Zeit war sie verloren. In diesen Augenblicken vergaß sie, dass sie ihm für nichts anderes diente, als ihm einen Sohn zu schenken und sie - von der Leidenschaft, die sie verband, einmal abgesehen - keinerlei Bedeutung für sein Leben und sein Herz hatte. In Wahrheit schien er ihr die meiste Zeit über aus dem Weg zu gehen, um sich selbst vor ihrer Nähe zu schützen.
Die Tatsache, dass sie nicht in der Lage war, die Distanz zwischen ihnen zu überwinden, quälte sie so sehr, dass sie Tante Winnie nach deren Rückkehr aus London aufsuchte. Sie fand sie im Wintergarten, wo sie auf einer schmiedeeisernen Bank vor einem von Pflanzen überwucherten Teich saß. Als Winnie aufsah und sie anlächelte, fiel Kathryn auf, dass eine so heitere Gelassenheit auf ihren Zügen lag, die sie schon seit Wochen nicht mehr an ihr gesehen hatte.
»Guten Morgen, meine Liebe.« Winnie klopfte mit der Hand auf den Platz neben ihr auf der Bank. »Wir konnten uns kaum unterhalten während der letzten Zeit. Möchtest du dich nicht zu mir setzen?«
»Ich habe dich gesucht, Tante Winnie. Reeves sagte mir, dass ich dich vielleicht hier finde.«
Die blonde Frau seufzte. »Ich sollte eigentlich im Garten sein, aber draußen weht noch immer ein scharfer, kalter Wind. Außerdem sehe ich so gerne den Fischen zu.«
Kathryn setzte sich neben sie auf die Bank und arrangierte die Röcke ihres aprikosenfarbenen Kleides. »Du hast dich verändert, seit du aus London zurück bist, Tante Winnie. Irgendwie bist du strahlender als früher. Gefällt es dir so viel mehr in der Stadt als hier auf dem Land?«
Winnie winkte ab. »Sei nicht albern, Kind, damit hat es rein gar nichts zu tun.«
»Womit dann?«
Einen Augenblick lang zögerte Winnie. Sie zupfte an dem Spitzenbesatz des Ärmels ihres blauen Seidenkleides herum. »Ich muss dir etwas sagen. Ich weiß nicht, was mein Neffe dazu sagen wird, aber ich glaube nicht, dass er mich deswegen verurteilen wird.«
»Verurteilen? Lieber Gott, Winnie, weshalb denn?«
Jener weiche Gesichtsausdruck legte sich wieder über ihre Züge, und sie lächelte. »Ich habe mich verliebt, mein Liebes. Völlig und über beide Ohren und ohne jeglichen Vorbehalt. Ich liebe Nathaniel Whitley, und er liebt mich.«
Kathryn spürte, wie Glück, Überraschung und ein kleiner schmerzhafter Stich sie durchzuckten. Sie freute sich für Winnie, und dennoch ließ die Freude in Winnies Gesicht die Lieblosigkeit in ihrem eigenen Leben umso deutlicher und schmerzhafter werden.
Sie beugte sich zu ihr und umarmte die Frau, die ihr eine so liebe und teure Freundin geworden war. »Ich finde, das ist wunderbar, Winnie. Ich freue mich so für dich.«
»Einige Menschen werden denken, ich sei eine Närrin. Sie werden behaupten, Nat sei ein Mitgiftjäger, obwohl er mehr als genügend eigenes Geld besitzt. Und sie werden denken, dass ich unter meinem Stand heiraten werde.«
Kathryn drückte ihre Hand. »Nun, ich sage, dass du großes Glück hast, einen Mann wie Nat gefunden zu haben, und er hat noch viel mehr Glück, dass er
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