Suendiger Hauch
ihren Mund starrte, und sein Atem beschleunigte sich. Er bemerkte, wie eine Strähne ihres langen, kastanienbraunen Haars, die sich aus ihrem festen Knoten gelöst hatte, sich an dem köstlichen, sanft gerundeten Fleisch oberhalb ihres Ausschnitts kringelte. Er begann in seinen Kniehosen steif zu werden, und er fluchte lautlos.
»Das ist alles, Miss Gray«, sagte er in sachlichem Ton, obwohl seine Empfindungen in diesem Augenblick alles andere als sachlich waren.
»Ich danke Ihnen, Mylord.«
Er blieb ihr eine Erwiderung schuldig. Während er ihr nachblickte, musste er an ihre bezaubernden rosafarbenen Lippen und ihre kleinen, köstlichen Brüste denken, während er den Tag verwünschte, an dem sie in seinen Kutschkasten geklettert war.
Kathryn hatte sich auf ihrem Lieblingsstuhl, der unmittelbar unter dem Fenster stand, zusammengekauert. Sie war vertieft in ein Buch eines Autors namens Jean di Vigo, das den Titel Von Wunden im Allgemeinen trug.
Viele der Bücher in der Bibliothek waren mehr als hundert Jahre alt, doch seit dieser Zeit hatte sich die Medizin nur unwesentlich weiterentwickelt, und in jedem der Bücher stand irgendetwas Interessantes, das für ihre Zwecke hilfreich war.
Ihre Gedanken wanderten von dem Buch, das aufgeschlagen in ihrem Schoß lag, zum Marquis und ihrer nachmittäglichen Unterhaltung. Obwohl Litchfield sich erneut hinter sie gestellt hatte und sie unendlich dankbar dafür war, hatte er seine Missbilligung kaum verbergen können. Vielleicht hatte Seine Lordschaft ja Recht. Sie würde nie Ärztin werden, egal, wie lange oder wie intensiv sie studierte und lernte. Außerdem wollte sie eigentlich auch keine Ärztin sein, wenn sie ganz ehrlich war.
Alles, was sie wollte, und das war schon immer so gewesen, war, dieses faszinierende Gebiet studieren zu können, das sie schon seit ihrer Kindheit so magisch angezogen hatte und das ihr die Fähigkeit verlieh, zu helfen, wann immer es nötig war.
Kathryn überflog die Seiten, auf denen geschrieben stand, dass Schusswaffen aufgrund des Schießpulvers zu bösartigen Wunden führten und dass sie mit kochend heißem Holunderöl, vermischt mit ein wenig Theriak, ausgebrannt werden mussten. In einem später erschienenen Band eines Autors namens Pare hatte sie gelesen, dass von derartigen Prozeduren abzuraten sei und stattdessen die Wunde mit einer Mixtur aus rohem Eigelb, Rosenöl und Terpentin bedeckt werden sollte, was weit weniger schmerzhaft für den Patienten war. Sie wünschte, Dr. Cunningham wäre hier und könnte ihr einen Rat geben, welche der beiden Herangehensweisen die bessere war.
Dennoch war eine Schussverletzung hoffentlich nichts, womit sie sich in nächster Zeit würde beschäftigen müssen.
Sie fuhr mit ihrer Lektüre fort, während das Ticken der Uhr über dem Kamin langsam leiser und sie müde wurde. Sie musste eingenickt sein, irgendwo zwischen der Lektüre von de Vigos Ausführungen über die Medizin und ihre Gedanken über Pare. Sie träumte, sie sei wieder in ihrer stickigen Zelle. Ein Kind war bei ihr; es war Michael Batholomew, ein magerer, flachsblonder Waisenjunge, der nach zwei Heiligen benannt worden war. Sankt Michael, der einer der Frauen in einer Vision in der Nacht seiner Geburt erschienen war. Sie war sicher, dass das Kind ein auf die Erde gefallener Engel war -und er sah zweifellos aus wie ein Engel mit seinem goldenen Haar und seinen tiefgrünen Augen, obwohl er sich mit zunehmendem Alter nicht unbedingt wie einer benahm. Bartholomew, sein Nachname, war schlicht und ergreifend der Name des Heiligen, nach dem die Anstalt benannt war, in der er geboren worden war.
Kathryn strich über sein schmutziges blondes Haar, als sie plötzlich fühlte, wie seine kleine Hand sich ausstreckte und nach der ihren griff. Seine Mutter war wenige Tage nach seiner Geburt gestorben, und so war er in der Obhut einer Frau namens Cleo gelandet, einer anderen Insassin der Anstalt, die noch immer Milch hatte, da sie ihr eigenes Baby erst kurz zuvor verloren hatte. In ihrer völlig heruntergekommenen Londoner Wohnung war ihr Baby während der Nacht erstickt, das kleine Gesichtchen in die mit Maishülsen gefüllte Matratze gepresst. Cleo hatte völlig den Verstand verloren, sich ihre Kleider vom Leib gerissen, das Haar büschelweise ausgerissen und war halb nackt durch Londons Straßen geirrt, bis sie schließlich im St. Barts gelandet war.
Sie hatte den kleinen Michael während der ersten vier Jahre seines Lebens liebevoll bemuttert,
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