Sündiges Abenteuer: Roman (German Edition)
Denn jede Minute, die verstrich, brachte sie Sandres Ultimatum näher und damit dem Moment, in dem die Frau oder das Kind von jemandem erschossen wurde. Von ihm. Von Jean-Pierre.
In der Zwischenzeit schlenderten die Gäste umher, der Champagner strömte und in den Spielclubs verloren die Zocker den Inhalt ihrer Brieftaschen an Sandres Kartengeber.
Wenn man Sandre fragte, war alles in bester Ordnung.
Lady Fanchere tätschelte Sandres Wange. »Du wirst Miss Chegwidden in drei Tagen beim nachmittäglichen Tee bei den Petits sehen. So lange kannst du noch warten, oder?«
»Wenn ich muss …« Sandre verneigte sich höflich.
Aber seine Augen glühten in einer gefährlichen Mischung aus Liebe und Leidenschaft. Er würde Miss Chegwidden für jeden Augenblick büßen lassen, den Sandre auf sie warten musste. Und wenn Jean-Pierre noch irgendwelches Mitleid hätte, das er für das Schicksal eines anderen hätte erübrigen können, hätte Miss Chegwidden ihm leidgetan.
Sie beide waren in die Klauen eines Ungeheuers geraten.
»Bringt sie herein. Herein mit ihnen.« Sandre winkte den Söldnern, die er engagiert hatte, um ihn vor seiner eigenen Wache zu beschützen. »Trödelt nicht so, ich bin ein viel beschäftigter Mann.«
Jean-Pierre stand mit dem Rücken zur Wand im Wachraum und sah zu, wie die Familien seiner Männer hereingetrieben wurden. Frauen. Kinder. Manche schluchzten stumm oder laut oder waren leichenblass. Mütter mit Babys in den Armen und eine alte Dame. Tavereses Mutter, weil Taverese keine anderen Familienmitglieder hatte, die Sandre als Geisel nehmen konnte. Sie war eine gute Seele, und schon vor den Ereignissen der letzten drei Tage war sie immer nett zu ihm gewesen. In den letzten drei Tagen waren sie alle nett zu ihm gewesen. Sie hatten ihm Essen, ihre Dienste, sogar Sex angeboten, wenn er ihre Söhne und Töchter verschonte.
Sie waren wie Vieh, das zum Schlachter getrieben wurde.
Und er war der Mörder.
Hinter der Linie, die die Söldner bildeten, mussten die Wachleute die Szene mit ansehen.
Sandre hatte die Männer durchsuchen lassen, bevor sie in den Raum durften. Die Revolution würde nicht hier und jetzt beginnen, hatte er ihnen versichert.
Niemand – nicht die Wachen, nicht die Frauen und auch nicht die Kinder – konnte den Blick von der Pistole wenden, die Jean-Pierre in der Hand hielt.
Er hatte sehr gründlich nach dieser Pistole gesucht. Sie hatte kleine Kugeln, die eher Staubkörnern aus Eisen glichen. Er hoffte, diese Art Kugeln werde den geringsten Schaden für Muskeln, Knochen und Nerven anrichten.
Aber er stand einer Reihe schlaksiger, junger Männer und Frauen gegenüber, die von der Arbeit völlig ausgelaugt waren. Selbst eine kleine Kugel konnte immer noch töten, besonders wenn der Schütze nicht richtig zielte.
»Stellt euch in einer Reihe an der Wand auf.« Sandre klang lebhaft und fröhlich.
Natürlich. Sandre hatte sich seit drei Tagen auf diesen Moment gefreut.
Jean-Pierre wollte die Augen schließen und einfach abdrücken. Aber das wagte er nicht. Dann brachte er vielleicht noch jemanden um. Ein Kind. Eine Frau.
Stattdessen wählte er sein Ziel mit Bedacht. Er drückte den Abzug.
Tavereses Mutter knallte gegen die Wand. Blut strömte aus ihrem Arm.
Taverese schrie auf und fluchte. Er musste von den anderen Wachmännern davon abgehalten werden, sich auf Jean-Pierre zu stürzen.
Jean-Pierre wusste, dass Sandre recht hatte.
Jean-Pierre könnte nie wieder ruhigen Gewissens schlafen.
34
Zwei weitere Nächte folgten, in denen Jean-Pierre keinen Schlaf fand und keinen Erfolg hatte. Er hätte am liebsten den schön gekleideten, geselligen und fröhlichen Gästen bei der Teeparty der Petits etwas zugerufen. Sahen sie denn nicht, wie die Situation in Moricadia sich zugespitzt hatte? Der Fürst war wahnsinnig, der Schnitter war nirgends zu finden, und Jean-Pierre blieben nur eine Nacht und ein Tag, ehe er wieder auf das Familienmitglied eines Wachmanns schießen musste. Und dieses Mal gäbe es keine alte Frau, die er statt einer Ehefrau oder eines Kinds opfern konnte.
Jean-Pierre nahm einen großen Schluck Absinth. Die alte Frau lebte noch, aber wenn Jean-Pierre auf das Kind eines seiner Männer schoss, wusste er nicht, wie lange er selbst noch am Leben war.
Ach, sieh an. Da war Sandre. Er stolzierte in seiner Uniform umher und kam zu Jean-Pierre, um ihn zu fragen, ob er seine kleine blühende Blume Emma Chegwidden gesehen habe. Und da waren auch Lord und Lady
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