Sündiges Abenteuer: Roman (German Edition)
Stille.
Michael zuckte zurück.
Sandre wurde schlaff.
Stuck rieselte von der Decke und erfüllte die Luft mit Staub. Michael wurde mit Stückchen aus weißem Gips und glänzendem Blattgold bedeckt.
Er öffnete die Augen. Er lebte. Der Adler hatte Sandre bewusstlos geschlagen, und dieser hatte zugleich sein Ziel verfehlt. Michael lebte, er hatte gewonnen.
Er öffnete die Schublade im Schreibtisch und nahm die Schlüssel zum Kerker an sich. Er steckte sie sorgfältig in die Tasche seines Mantels.
Jetzt musste er nur noch Emma befreien und endlich seine Vergeltung vollenden. Er wollte Sandre zwingen, sich dem zu stellen, was er am meisten fürchtete.
Der Demütigung.
Er begann mit seiner Arbeit an Sandre.
45
»Was glaubt Ihr, was Ihr hier tut?«, bellte der spanische Botschafter so laut, dass sein dicker Bauch bebte.
Jean-Pierre klopfte sich den Straßenstaub von der Reithose und erklärte zum bestimmt vierten Mal: »Es tut mir leid, Mylord, aber Ihr habt Euch wie der Schnitter gekleidet.«
»Ich wurde noch nie zuvor in meinem Leben so übel behandelt!«
»Ja, Mylord.« Jean-Pierre nahm die Zügel, stieg wieder in den Sattel und versuchte erneut, die Situation in den Griff zu bekommen. »Es tut mir leid, aber warum habt Ihr Euch als Schnitter verkleidet?«
Lord Torres-Martez hielt überhaupt nichts von Jean-Pierres Entschuldigungen. »Ich werde Fürst Sandre erzählen, was Ihr hier treibt, und er wird Schritte unternehmen, um Euch zu bestrafen, Ihr … Ihr, Ihr … Sohn einer Hure!«
Jean-Pierre versteifte sich. Er würde diesen eingebildeten Mistkerl so gerne wieder zu Boden werfen. Wollte sein Gesicht in einen Haufen Pferdeäpfel drücken, bis er sich dafür entschuldigte, dass er es gewagt hatte, so despektierliche Bemerkungen über Jean-Pierres Mutter zu machen. Er wollte …
Einer seiner Männer rief: »Mylord!«
Dieses Mal war Jean-Pierre nicht so leichtsinnig, den drängenden Unterton in der Stimme des Mannes zu missachten. Er schaute auf, und auf der Hügelkuppe hinter ihnen … ritt der Schnitter. Er jagte der Kutsche eines Edelmanns hinterher.
Oh, dieses Mal würde er den Schnitter bezahlen lassen.
Alle sind eingeladen.
Als Jean-Pierre an der Spitze seiner Truppe losgaloppierte und sein Pferd mit Gertenhieben die Steigung hinauftrieb, klangen ihm Durants Worte geradezu höhnisch in den Ohren.
Wie kommt es, dass Ihr nichts über diese Gesellschaft wisst?
Jean-Pierre verfluchte den selbstzufriedenen Michael Durant und den hinterlistigen Fürst Sandre, der Jean-Pierre nichts vom Ereignis des heutigen Abends erzählt hatte. Er verfluchte jeden, der an diesem Abend den Maskenball besuchte. Und jeden verfluchten Edelmann in diesem Land.
Ihr könnt Euch einfach selbst einladen. Es ist eine Maskerade. Niemand wird überhaupt wissen, dass Ihr ohne Einladung gekommen seid.
Eines Tages würden sie alle bezahlen, weil sie ihn nicht geachtet hatten und ihre Vorurteile gegen Jean-Pierre pflegten. Er würde sie alle bezahlen lassen.
Wie eine Kugel richtete er seine ganze Wut auf den maskierten Schnitter. Er schrie und trieb sein Pferd vorwärts.
Der Schnitter gab einen kreischenden Laut von sich. Er versuchte, sein Pferd zu wenden und das Tier wieder die Straße hinabzulenken.
Mit einem wütenden Brüllen warf Jean-Pierre sich aus dem Sattel und riss den Schnitter mit sich. Sie schlugen hart auf dem Boden auf. Sie rollten übereinander, und als sie endlich wieder zu Atem kamen, riss Jean-Pierre dem Bösewicht die weiße Maske vom Gesicht. Er musste feststellen, dass er auf dem ihn entsetzt anstarrenden Lord Nesbitt hockte. »Mylord. Was tut Ihr hier?«
Lady Nesbitts scharfe, hohe Stimme erklang hinter seiner linken Schulter. »Was er hier tut? Was tut Ihr denn, Ihr Emporkömmling von einem de Guignard?«
Jean-Pierre fuhr herum und blaffte sie an.
»Wagt es bloß nicht, so mit mir zu sprechen!« Ihr Gesicht war mit hellem Puder geschminkt, und sie trug ebenfalls weiße, zerfetzte Spitze, die an ein Leichentuch denken ließ. Doch es konnte kein Zweifel an ihrer Lebendigkeit bestehen, denn sie fuchtelte wild mit dem Finger vor seinem Gesicht herum. »Ihr habt meinen Ehemann angegriffen!«
»Was treibt er auch hier draußen so verkleidet? Und warum seid Ihr ebenfalls verkleidet?«
»Wir gehen zu der Gesellschaft des Fürsten.«
»Wie bitte?« Jean-Pierre ließ Lord Nesbitts Krawatte los.
»Die Gesellschaft des Fürsten. Sein Maskenball. Heute Abend. Ich dachte, Ihr seid Fürst Sandres Cousin
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