Süß ist die Angst
mir zu sprechen.«
Und jetzt begriff er.
Sie erkannte ihn nicht.
Sie hat keine Ahnung, wer du bist, Hunter.
Die Erkenntnis traf ihn wie eine Faust im Magen, und es verschlug ihm einen Moment lang den Atem. Es war ihm nie in den Sinn gekommen, dass sie sich vielleicht nicht an ihn erinnern konnte. Es kam ihm unmöglich vor, aber der Ausdruck ihrer Augen verriet ihm, dass genau das der Fall war.
Er zwang sich zu sprechen, nahm ihre schmale Hand in seine und versuchte, nicht zu wirken wie ein Mensch, dessen Welt soeben implodiert war.
»Ist mir ein Vergnügen.«
Ein böser Schlag gegen das Ego, was, Vollidiot?
Aber nicht nur das.
Sie würde sich entsetzlich fürchten.
Er betrachtete ihr schönes Gesicht, sah das Mädchen, das er einst unter freiem Himmel geliebt hatte … und fragte sich, wie er ihr so etwas antun konnte. Aber dann dachte er an Megan und Emily auf der Flucht und wusste, dass er keine Chance hatte. Er hatte seine Schwester schon einmal verloren. Ein zweites Mal sollte ihm das nicht passieren.
Sophie zog die Hand zurück. Ein seltsames Unbehagen machte sich in ihr breit. Etwas in der Stimme dieses Häftlings, in seinem Blick machte sie nervös.
Sie stellte das digitale Aufnahmegerät auf den Tisch und räusperte sich.
»Da ich keinen Notizblock mitbringen darf, möchte ich unser Gespräch gerne aufnehmen. Ich hoffe, Sie sind damit einverstanden, Mister Hunter.«
Er nickte, schien sich ganz auf sie zu konzentrieren.
»Wie Sie wollen.«
Marc Hunter war nicht so, wie sie es erwartet hatte. Sie hatte sich schon gedacht, dass er groß war, da seine Schwester sie überragte, doch Megan wirkte eher zerbrechlich und durch die langjährige Sucht, die Gefängniskost und ein Leben ohne körperliche Betätigung ausgezehrt, was man von Marc Hunter nicht behaupten konnte.
Er war mindestens eins neunzig, gut gebaut und durchtrainiert, und seine orangefarbene Gefängniskluft spannte sich über der breiten Brust. Unter den aufgekrempelten Ärmeln waren die muskulösen tätowierten Oberarme zu sehen; auf dem rechten prangten amerikanischer Adler und Schild der US -Armee, auf dem linken ein keltisches Muster. Das braune wellige Haar hing ihm auf die Schultern. Ein dunkler Bart bedeckte die untere Gesichtshälfte, so dass von seinen Zügen kaum etwas zu sehen war und die hohen Wangenknochen betont wurden. Er wirkte hart, ein Eindruck, der jedoch durch die vollen Lippen ein wenig gemildert wurde. Seine Augen waren von einem durchdringenden Grün und schienen direkt in ihr Inneres zu blicken.
Selbst wenn sie seine Akte nicht gelesen hätte, hätte Sophie gewusst, dass er gefährlich war. In der Luft lag eine aggressive Spannung, etwas Drohendes, etwas, das sie frösteln ließ.
Er ist ein Killer.
Sie drückte auf den Aufnahmeknopf und bemühte sich, ihre Gedanken zu ordnen.
»Ähm … wie Sie wahrscheinlich wissen, habe ich die Situation Ihrer Schwester schon länger verfolgt. Genauer, seit …«
»Ich kenne Ihre Artikel«, sagte er. »Ist doch klar.«
Sophie hatte nicht verlauten lassen, dass ihr Interesse an dem Interview ursprünglich durch einen vom Häftling initiierten anonymen Anruf geweckt worden war, denn unter solchen Umständen hätte man ihrer Bitte wahrscheinlich nicht entsprochen. Und solange Lieutenant Kramer zuhörte, würde sie auch jetzt nicht darauf eingehen. Mr. Hunter mochte es egal sein, falls er Misstrauen erregte, ihr aber nicht.
»Aber vielleicht wissen Sie nicht, dass mir Megan und Emily wirklich am Herzen liegen und ich seit ihrem Verschwinden an kaum etwas anderes denken kann. Ich hatte gehofft, dass Sie vielleicht eine Ahnung haben könnten, warum oder wohin sie verschwunden ist.«
Seine Lippen verzogen sich zu einem trägen Lächeln.
»Und da dachte ich, Sie wüssten vielleicht etwas.«
Verwirrt starrte Sophie ihn an. Er hatte doch sie kontaktiert, oder etwa nicht? Der Mann, der sie angerufen hatte, hatte behauptet, Hunter habe Informationen für sie, aber das war offenbar nicht der Fall. Was für ein Spiel trieb dieser Mann? Das ergab keinen Sinn.
Sein Lächeln verblasste, und seine Miene wurde ernst. »Megan ist eine problembehaftete junge Frau, Miss Alton.«
Klar. Und du bist der vorbildliche Durchschnittsbürger.
Sophie wartete schweigend, dass er fortfuhr.
»Sie kämpft seit ihrer Jugend gegen die Drogensucht, und immer wenn ich denke, sie hat es geschafft, erleidet sie einen Rückfall.«
Das war nichts Neues. Darüber hatte Sophie längst geschrieben. »Das
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