Suess und ehrenvoll
äußere Schein, der ihm von vielen geneidet wird. Dahinter stehen ungeheure physische und psychische Belastungen. Der Kampfpilot fliegt seine lebensgefährlichen Einsätze in völliger Einsamkeit, ohne die Anteilnahme und Hilfe der Kameraden. Und möglicherweise‹, dachte Ludwig dann, ›findet ja auch er, dass ich derjenige bin, der älter aussieht.‹
Frankl erinnerte sich, dass er vor dem Krieg mit Ludwig über Karoline gesprochen hatte, und fragte nach ihr. Im Übrigen wusste er sehr genau darüber Bescheid, was in den letzten zweieinhalb Jahren an der Front passiert war, und konnte sich den trostlosen Alltag und das Leiden der Soldaten in den Schützengräben gut vorstellen.
Schließlich wagte Ludwig, die unvermeidliche Frage zu stellen: »Wilhelm, bist du noch Jude? Gehen dich unsere Probleme, die Probleme der jüdischen Soldaten, noch etwas an?« Ludwig wusste, dass Frankl jüdischer erzogen worden war als er selbst. Er hatte die jüdische Volks- und Realschule in Frankfurt besucht, und seine Eltern wohnten im Ostend, wo die meisten Frankfurter Juden lebten. Doch Ludwig hatte wie alle Zeitungsleser und vor allem die Leser der Klatschspalten bereits erfahren, dass Wilhelm Frankl vor Kurzem zum Christentum übergetreten war.
»Ich habe lange gezögert, bevor ich mich taufen ließ«, sagte Frankl und strich sich über den Bart. »Nicht, dass die Religion mir besonders wichtig gewesen wäre, weder die eine noch die andere, und wenn ich überhaupt so etwas wie einen Glauben hatte, ist er mir im Krieg abhandengekommen. Wer wie du und ich monatelang diese Hölle durchsteht, muss sich fragen, wo dieser Gott ist, der angeblich die Geschicke der Welt lenkt. Natürlich sind solche Gedanken kein Grund, die Religion zuwechseln. Ich bin nur aus einem einzigen Grund Christ geworden: um meine geliebte Frau heiraten zu können. Ihr Vater ist österreichischer Marineoffizier. Doch ich habe mich nicht nur taufen lassen, weil ihre Eltern einen jüdischen Schwiegersohn abgelehnt hätten. Auch meine Frau war hin- und hergerissen. Sie hätte mich zwar auch gegen den Widerstand ihrer Eltern geheiratet, doch ich wollte sie nicht in diese Zwangslage bringen. Ich fürchtete, dass ihre Eltern und Freunde sich von ihr lossagen würden. Auf die Dauer hätte ihre Liebe zu mir das womöglich nicht überstanden. Ich weiß, dass man mir nachsagt, ich hätte mich nur taufen lassen, um endlich Offizier zu werden. Es stimmt zwar, dass ich trotz aller Verdienste als Jagdflieger, trotz aller Orden und der wichtigen Kommandos, die mir übertragen wurden, nicht befördert wurde. Und dass ich nach meinem Übertritt nicht etwa nur zum Leutnant, sondern gleich zum Oberleutnant ernannt wurde. Aber das war nicht der Grund für meinen Schritt. Der höhere Dienstgrad ändert nichts an dem, was meinen Lebensinhalt und meine Aufgabe in der Armee ausmacht: Ich will meine Einsätze fliegen, und das habe ich auch vor meiner Beförderung zur Genüge getan.«
»Ich verstehe. Doch du hast meine Frage noch nicht beantwortet.«
»Darauf komme ich jetzt«, antwortete Frankl. »Du hast mich gefragt, ob ich noch Jude bin. Oder mit anderen Worten: Gehen mich die Probleme der jüdischen Soldaten in der Armee noch etwas an? Natürlich tun sie das. Für einen Juden, der kein religiöses Leben führt, ist und bleibt es ein Problem, wie er von Nichtjuden gesehen wird. Wenn Judesein bedeutet, dass er in den Augen der Nichtjuden als andersartig empfunden wird, dann hat sich bei mir nichts geändert. Sicher, seit meiner Taufe kann die Militärhierarchie mir nicht mehr viel anhaben. Auch die Eltern meiner Frau konnten keine formellen Argumente gegen unsere Heirat mehr vorbringen. Doch letztlich bin ich sowohl für sie als auch für die Armee immer noch der Jude , Sohn einerfremden ›Rasse‹. Abkömmling einer, gelinde ausgedrückt, wenig geachteten Gattung. Daher sind die Probleme der Juden die meinen. Und auch unsere Kinder werden noch dieselben Probleme haben. Sie werden als Mischlinge gelten, obwohl ich Christ geworden bin.«
Jetzt hatte Ludwig keine Hemmungen mehr, Frankl die schmerzliche Frage zu stellen, die ihn am meisten bedrückte: »Wilhelm, was hat deiner Meinung nach die Judenzählung zu bedeuten? Bist du gezählt worden? Hast du ein Formular ausgefüllt?«
»Nein, die Zählung hat zwar schon vor meiner Konversion begonnen. Doch bei den Fliegern herrscht ein anderer Geist, der ein so entwürdigendes Vorgehen nicht zulässt.«
»Schön und gut«, unterbrach
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