Suess und ehrenvoll
es wohl einmalig in der Geschichte ist. In seinem Hinterhof muss es sich mit dem irischen Aufstand herumschlagen. Und zu allem Überfluss bedroht unsere U-Boot-Flotte die englische Seeherrschaft und damit das gesamte britische Imperium.«
»Ja«, unterbrach ihn Wilhelm, »aber wir stecken immer noch in einem Stellungskrieg fest.«
»Gewiss, wir sind mitten in einem Grabenkrieg, doch unsere Lage ist besser als die unserer Gegner«, beharrte Ludwig. »Der Krieg spielt sich auf ihrem Territorium ab, nicht auf unserem.Bisher haben wir in allen regelrechten Schlachten gesiegt. Daher bin ich mir sicher, dass wir den Durchbruch schaffen, wenn der Tag der großen Offensive kommt, und zwar an allen Fronten. Und vor allem werden wir unseren Erzfeind Frankreich niederwerfen.«
Frankl hörte Ludwigs begeisterter Rede geduldig zu. »Dein Wort in Gottes Ohr«, sagte er schließlich. »Ich wünschte, du hättest recht. Wir wissen ja, was Zeitungen in Kriegszeiten bedeuten … Na ja, ihre Pflicht ist es doch, für die Moral der Soldaten und der Zivilbevölkerung zu sorgen. Ich sehe die Lage ein bisschen anders. Zwar stimmt es, dass wir und unsere Verbündeten bisher meist siegreich waren, aber das ist nur ein Teil des Gesamtbilds. Der Stellungskrieg ist im Grunde nichts als eine große Niederlage für uns. Alle unsere Versuche, Frankreich zu erobern und den Krieg damit zu beenden, sind gescheitert. Du glaubst, dass wir letzten Endes die französischen Linien durchbrechen werden? Vergiss nicht, dass die Franzosen mittlerweile große technologische Fortschritte machen. Sie haben eine rückstoßfreie Kanone erfunden, die unserer Artillerie überlegen ist. Ihre neuesten Flugzeuge wie zum Beispiel der Voisin fliegen schneller und höher als die unseren, und von den 40-Milimeter-Kanonen, mit denen sie ausgerüstet sind, kann ich in meiner Fokker nur träumen.« Ludwig verstand von Wilhelms technischen Erklärungen nicht viel und hörte ihm schweigend zu, wenn auch mit wachsender Ungeduld. »Die Kapazitäten der französischen und englischen Flugzeugindustrie übertreffen die unseren«, fügte Wilhelm hinzu und ging Ludwig damit weiter auf die Nerven. »Wenn das so weitergeht, wird Deutschland im Luftkrieg in die Rolle des David gedrängt, der gegen den französischen Goliath antreten muss.«
»Aber die Franzosen werden bald fast allein gegen uns und die Österreicher kämpfen müssen«, unterbrach ihn Ludwig. »Die Russen sind so gut wie besiegt, und die Engländer werden wir mit unseren U-Booten kleinkriegen.«
Frankl nickte nachdenklich. »Das stimmt schon, unsere U- Boote setzen den Engländern und ihren Nachschublinien kräftig zu. Doch unsere Häfen sind blockiert. Unser Land bekommt keinerlei Nachschub an Lebensmitteln und anderen Gütern aus Übersee. Wann warst du zum letzten Mal auf Heimaturlaub, Ludwig?«
»Das ist fast zwei Jahre her«, sagte er zögernd.
»Wenn du aus der Klinik entlassen wirst, bekommst du sicher Urlaub«, sagte Frankl. »Dann wirst du sehen, was für eine düstere Stimmung in der Heimat herrscht. Hast du nicht von den Streiks gehört?«
»Mag sein«, warf Ludwig ein, »doch ich habe gehört, dass Russland kurz vor dem Zusammenbruch steht. Wenn das passiert, wird der Druck auf uns und vor allem auf unsere österreichischen und türkischen Verbündeten nachlassen.«
»Da täuschst du dich, mein Freund«, widersprach Frankl. »Russland steht nicht kurz vor dem Zusammenbruch, auch wenn sich dort ein Regimewechsel anbahnt.«
»Aber wenn das zaristische Regime gestürzt wird«, beharrte Ludwig auf seiner Meinung, »können wir wenigstens zeitweise unsere Streitkräfte vom Osten abziehen und sie an die Westfront werfen. Dann wird die große Offensive möglich, die Frankreich den Todesstoß versetzt.«
»Das kann schon sein«, räumte Frankl ein, »doch inzwischen ziehen auch unsere Feinde im Westen frische Streitkräfte zusammen. Und ich würde mich nicht wundern, wenn die Engländer letzten Endes auch die Amerikaner überzeugen, in den Krieg einzutreten. Dazu wird unsere U-Boot-Flotte beitragen. Wir treiben dadurch ja nicht nur die Engländer in die Enge, sondern auch die amerikanische Zivilflotte, die den intensiven Handel zwischen England und Amerika aufrechterhält. Ich weiß nicht, wie lange die amerikanische Öffentlichkeit noch dem Willen ihrer Regierung widerstehen kann, Deutschland den Krieg zu erklären.«
»Was das betrifft, bin ich beruhigt«, warf Ludwig ein. »In seinem letzten Brief
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