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Suess und ehrenvoll

Suess und ehrenvoll

Titel: Suess und ehrenvoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Avi Primor
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Weib das Leben krönte,
    Dem eurer Kindheit erste, holde Blüte
    So schön, so lieblich doch entgegenprangte? –
    Ich sag es euch. Nun merkt es wohl und segnet,
    Der einst von euch hinwegzog, euren Vater! –
    Mich zog’s hinaus, weil ich ein Deutscher bin!«
    Johann hatte am Ende fast frei gesprochen, man merkte, dass er das Gedicht oft gelesen hatte. »Das Gedicht ist noch viel länger«, sagte er mit leiser Stimme, »aber die letzte Zeile gefällt mir besonders: ›Ein deutscher Jude , in den heil’gen Kampf.‹«
    »Hier steht, er hatte das Eiserne Kreuz«, sagte Ludwig. Er bückte sich, hob einen kleinen Stein auf und legte ihn auf das Kreuz. »Was wohl aus seiner Familie geworden ist?«, sagte er, als sie weitergingen.
    Anfang 1918 wurde Ludwigs Division schließlich doch an die Westfront verlegt. Zwischen den beiden Fronteinsätzen, fast ein Jahr nach seinen wenigen freien Urlaubstagen in Frankfurt, bekam Ludwig wieder Urlaub, der allerdings auch diesmal nicht sehr lang war. Er wusste nicht, dass der Generalstab fieberhaft die bisher größte Offensive vorbereitete und ihm ein längerer Aufenthalt im Trainingslager nur deshalb erspart blieb, weil ernach vier Jahren Frontdienst als kampferprobter Soldat galt und einer seiner Vorgesetzten ein gutes Wort für ihn eingelegt hatte.
    »Dieser Winter ist der kälteste seit Langem«, sagte Ludwig zu Karoline und erwartete, sie würde ihm entgegnen, dass man diese Behauptung jedes Jahr zu hören bekäme. Stattdessen gab sie ihm recht. Nicht nur, dass der Winter bitterkalt war, es gab vor allem kein Heizmaterial.
    »Uns bleibt wohl nichts anderes übrig, als die drei Wochen im Bett zu verbringen«, sagte sie lächelnd. Friedes kleine Wohnung war dafür wie geschaffen.
    Ludwigs Geschichten vom Krieg, die er ihr bei jedem Urlaub erzählte, wurden diesmal durch Karolines Berichte über das schwere Leben an der Heimatfront fast übertroffen: Mangel an Heizstoffen und vor allem an Grundnahrungsmitteln und ein eingeschränkter öffentlicher Verkehr. Darunter litt natürlich die arme Bevölkerung am meisten. Viele mussten buchstäblich hungern. In ganz Deutschland und vor allem in der Rüstungsindustrie gab es immer mehr Streiks. »Die Leute müssen Steckrüben fressen, weil es kein Brot und keine Kartoffeln mehr gibt«, sagte Karoline wütend, und Ludwig fuhr erschrocken zurück. »Fressen« – ein solches Wort hätte Karoline früher nie in den Mund genommen.
    »Ich glaube, die Moral der Bevölkerung wird bald einen Tiefpunkt erreichen«, fuhr sie fort. »Die Leute haben natürlich gehört, was in Russland passiert ist. Immer mehr Leute verlangen, dass die Regierung sich aus dem Krieg zurückzieht.« Sie zeigte keine Spur von Bedauern. »Meine Eltern sehen das natürlich anders. Die fragen sich, ob die Kriegsanleihen jemals zurückgezahlt werden, die sie in solcher Menge gekauft haben.«
    Für Ludwig kamen Karolines Worte nicht überraschend. Viele seiner Kameraden hatten ihm erzählt, dass die Familien zu Hause Hunger litten und immer häufiger darum baten, die Soldaten sollten ihnen doch Lebensmittel aus den besetzten Gebieten schicken. Ludwig fand das empörend.
    »Verstehen die Zivilisten denn nicht, dass es in diesem Krieg um unsere Existenz geht?«, sagte er zu Karoline. »Begreifen sie nicht, dass wir jetzt alles für das Vaterland opfern müssen? Gerade jetzt, wo die Chancen für den Endsieg besser denn je stehen! Sieh doch, was in den letzten Monaten geschehen ist: Alle unsere Feinde auf dem Balkan sind besiegt. Dort wird niemand mehr die Hand gegen uns erheben. Die Österreicher haben die Italiener geschlagen. Nach der Schlacht von Caporetto kommt die italienische Armee nicht mehr auf die Beine. Und der Höhepunkt: unser Sieg über Russland, diesen Giganten ohne Grenzen, der nun endgültig aus dem Krieg ausgeschieden ist. Ja, es ist wahr, du kannst es mir glauben. Wir werden siegen, und dann werden wir einen Frieden zu unseren Bedingungen schließen. Die Engländer behaupten, sie hätten Verstärkung von Amerika bekommen, aber wo sind die Amerikaner? Vor einem Jahr haben sie uns den Krieg erklärt, doch auf dem Schlachtfeld trifft man sie nicht an. Ehe sie sich hierherbequemen, ist der Krieg aus.«
    Karoline streichelte sein vor Eifer glühendes Gesicht und redete ihm gut zu wie einem Kind: »Ja, so ist es, du hast völlig recht. Die Leute hier sind zu dumm und beschränkt, um die Realität zu begreifen. Lassen wir das«, fügte sie hinzu und zog ihn am Ärmel,

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