Suess und ehrenvoll
und neu formieren konnte. Die Soldaten erfuhren nicht, wie lange sie die Stellungen halten mussten und wann sie sich zurückziehen und der Division wieder anschließen durften. »Wir halten so lange aus, wie wir können«, war die von den Offizieren ausgegebene Parole. »Wir sind nicht allein. Hinter uns im Wald lagert ein Artilleriebataillon, das uns Deckung geben wird.«
Im Morgengrauen wurden sie von französischen Spähflugzeugen entdeckt. Kurz darauf wurde aus im Wald verborgenen feindlichen Stellungen Artillerie- und Maschinengewehrfeuer eröffnet. Ludwig hatte das Gefühl, in der Falle zu stecken. Dass der Feind nicht zu sehen war, zerrte an seinen Nerven. ›Werden wir angreifen? Und wenn ja, wo und wann?‹, fragte er sich und wechselte ratlose Blicke mit seinen Kameraden. Da hörte er seinen Bataillonsführer per Funk die Artillerie um Feuerschutz bitten.
Und damit begann der Albtraum. In nächster Nähe krachten Explosionen. Ludwig mochte es zunächst nicht glauben: Das deutsche Artilleriebataillon in seinem Rücken hatte das Feuer eröffnet, traf jedoch nicht den Feind, sondern Ludwigs Bataillon! Man munkelte, dass die Artillerie schon seit geraumer Zeit keine Ersatzteile mehr bekam und die Geschützrohre so verschlissen waren, dass man damit nicht mehr richtig zielen konnte. Das Bataillon hatte insofern Glück, als die Munition knapp und das Feuer breit gestreut und sporadisch war und daher weniger Verluste verursachte.
Endlich verlangte der Bataillonskommandeur, das Feuer sofort einzustellen, und beschloss, nur noch die schweren Maschinengewehre einzusetzen. Doch auch hier trat ein technisches Problem auf. Die Mannschaften hatten genügend Kampfrationen, aber nur sehr wenig Wasser mitnehmen können. Ihre Ausrüstung bestand größtenteils aus Waffen, Munition und Grabgeräten. In der drückenden Hitze waren die Feldflaschen bald leer. Die Soldaten litten von nun an nicht nur unter Durst, sie hatten auch kein Wasser, um die glühenden Läufe der Maschinengewehre zu kühlen. Daraufhin wurde befohlen, auf die Gewehrläufe zu urinieren. ›Dass mein Urin nicht besonders kühl ist, macht nicht viel aus‹, dachte Ludwig, ›aber woher soll ich ihn nehmen, wenn ich nichts zu trinken habe?‹
Der Bataillonskommandeur hatte die Verbindung zum Divisionsstab verloren und befahl schließlich den Rückzug. Da es keine Lastwagen mehr gab, mussten die Truppen sich zu Fuß zurückziehen. Sie marschierten im Schutz der Dunkelheit. Die Toten wurden in aller Eile begraben, die Verwundeten mitgeschleift oder getragen. Unter dem Befehl von Hauptmann Schumacher, einem kampferprobten Soldaten, der erst im Krieg zum Offizier ernannt worden war, brach Ludwigs erschöpfte Kompanie nach Norden auf. Die Soldaten setzten ihre ganze Hoffnung darauf, im offenen Gelände Wasser zu finden. Ludwig konnte an nichts anderes denken als an Wasser. Seine Zunge war so geschwollen, dass er kaum Luft bekam.
Nach Mitternacht befahl Hauptmann Schumacher, das Nachtlager auf einem niedrigen Hügel aufzuschlagen. Ludwig war für die letzte Wache eingeteilt. Wegen des aufziehenden Nebels war die Sicht so schlecht, dass er sein Gehör aufs Äußerste anstrengen musste. Wenn feindliche Soldaten sich näherten, konnte man sie nicht sehen. Es kam darauf an, jedes noch so geringe Geräusch wahrzunehmen.
Der Durst plagte ihn immer noch. Auf dem Weg zum Hügel waren die Soldaten an einer kleinen Quelle vorbeigekommen.Doch Schumacher hatte sie nicht trinken lassen, weil er befürchtete, dass der Gegner ihnen auf den Fersen war. Sie durften nur in aller Eile ihre Feldflaschen füllen und mussten gleich weitermarschieren. Ludwig hatte sich etwas Wasser für die Nacht aufgespart, doch kurz vor Morgengrauen war er wieder so durstig, als hätte er seit Tagen nichts getrunken. Die Angst, die er bei jedem nächtlichen Rascheln und Knacken spürte, und der quälende Durst hielten ihn wach und verhinderten, dass er auf dem Posten einschlief.
Um den Durst zu vergessen, konzentrierte er sich darauf, an Karoline zu denken. Das hatte ihm bisher immer geholfen. Diesmal beschwor er nicht nur seine Liebe und Sehnsucht herauf, sondern auch die Hoffnung, sich nicht nur auf den nächsten Urlaub, sondern auf ein endgültiges Wiedersehen freuen zu können. Der Krieg würde nicht mehr lange dauern. Man musste mit einem tragischen Ende rechnen, dessen Auswirkungen schwer vorauszusehen waren, aber für ihn und Karoline bedeutete das einen neuen Anfang. Oder vielmehr den
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