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Suess und ehrenvoll

Suess und ehrenvoll

Titel: Suess und ehrenvoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Avi Primor
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keine Überraschungen, auch keine überraschenden Geburtstagsfeiern, die ihm nur peinlich waren. Ihm war es lieber, gute oder schlechte Nachrichten im Voraus zu erfahren. Deshalb beschloss er, sich telegrafisch anzukündigen. In der etwa fünfzig Kilometer hinter der Front gelegenen Dienststelle, von der aus er nach Hause aufbrechen würde, gab es die Möglichkeit, gegen eine nicht unbeträchtliche Gebühr Telegramme aufzugeben.
    Wann genau er in Frankfurt eintreffen würde, wusste er allerdings immer noch nicht. Ein geordneter Fahrplan existierte nicht. Ihm wurde gesagt, dass er bei der Heimfahrt dreimal umsteigen müsse, wobei an jedem Umsteigebahnhof mit langen Wartezeiten zu rechnen sei.
    Die erste Überraschung, die Ludwig und seine Kameraden bei der Heimreise erlebten, war eine deutliche Zurückhaltung vonseiten der mitreisenden Zivilisten. Der Grund für dieses Verhalten wurde ihnen bewusst, als einer der Zugpassagiere aus Neugier trotzdem mit den Soldaten ins Gespräch kam. »Ihr stinkt«, sagte er unverblümt. »Alle Soldaten stinken, wenn sievon der Front kommen. Und nicht nur das, ihr bringt Flöhe und Läuse mit. An Gestank ist noch niemand gestorben, aber die Krankheiten, die durch Ungeziefer übertragen werden – wer weiß…«
    Die letzte Station der anstrengenden Reise nach Frankfurt war Koblenz. Dort sollten die Soldaten die Nacht in einem Zeltlager verbringen und am nächsten Morgen mit einem anderen Zug weiterfahren. Inzwischen waren von der Gruppe nur Ludwig und drei Kameraden übrig geblieben, die wie er nach Frankfurt wollten. Ludwig schlug ihnen vor, einen Rundgang durch die Stadt zu unternehmen, an die er seit einem Schulausflug vor einigen Jahren nur schöne Erinnerungen hatte. Vor allem wollte er sich das monumentale Reiterstandbild von Kaiser Wilhelm I. noch einmal ansehen. Dieses Standbild thronte am »Deutschen Eck«, einer künstlich aufgeschütteten Halbinsel, die in den Zusammenfluss von Rhein und Mosel hineinragte. Ein wahrhaft imposantes patriotisches Denkmal: Es sah aus, als wolle der Kaiser hoch zu Ross in die Fluten hineinreiten.
    Als es seinen Kameraden langweilig zu werden drohte, zeigte Ludwig über den Rhein zur Festung Ehrenbreitstein. »Da oben steht eine fünf Meter lange Bronzekanone«, sagte er, »die heißt ›Greif‹. Sie wurde im sechzehnten Jahrhundert gegossen, doch es wurde nie ein Schuss daraus abgefeuert. Stattdessen wurde sie zu einem historischen Symbol, das alle Herzen höher schlagen lässt…« Die drei Soldaten sahen ohne große Begeisterung über den Rhein.
    »Was ist daran so Besonderes?«, fragte einer schließlich. »Der ›Lange Max‹ und die ›Dicke Bertha‹ sind doch viel größer. Was interessiert uns da so ein Spielzeug?«
    Doch Ludwigs Überschwang ließ sich nicht dämpfen: »Ich werde euch die Geschichte dieser Kanone erzählen. Als Napoleons Truppen Deutschland eroberten, kamen sie auch nach Koblenz. Doch im Gegensatz zu euch waren sie begeistert von dem›Spielzeug‹ und nahmen es als Beute mit. Es erhielt einen Ehrenplatz im heeresgeschichtlichen Museum des Invalidendoms in Paris und geriet in Vergessenheit. Es gab allerdings jemanden, der sich mit dieser Demütigung durch die Franzosen nicht abfinden wollte, und das war Bismarck. Als er Botschafter in Paris war, konnte er aus dem Fenster seiner Residenz, dem Hôtel de Beauharnais, jeden Tag den Invalidendom sehen, der die geraubte Kanone beherbergte, und schwor sich, sie nicht zu vergessen. Bei den Friedensverhandlungen nach dem Krieg von 1870/71 sorgte er dafür, dass die Kanone wieder nach Koblenz zurückgebracht wurde, und jetzt steht sie wieder oben in Ehrenbreitstein«, schloss Ludwig und wandte sich mit strahlender Miene zu seinen Kameraden um.
    Die zuckten die Achseln. »Können wir jetzt etwas trinken gehen?«, fragten sie.
    Er kannte die drei Männer nur flüchtig. Sie dienten in seinem Bataillon, doch in anderen Kompanien, und hatten Ähnliches erlebt wie er. Auf der langen Heimreise war Ludwig mit ihnen ins Gespräch gekommen. Sie wohnten im Ostend, einem der ärmeren Viertel von Frankfurt.
    Die Männer spürten natürlich, dass Ludwig ein »Studierter« war, und fragten sich insgeheim, warum er kein Offizier war. Für etwas Besseres schien er sich aber nicht zu halten, und deshalb hegten sie auch kein Misstrauen. Er hatte genau wie sie im Schützengraben gelegen, und deshalb war er auch einer von ihnen. Was sie beeindruckte, war das Eiserne Kreuz, das Ludwig auf Betreiben

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