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Suess und ehrenvoll

Suess und ehrenvoll

Titel: Suess und ehrenvoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Avi Primor
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Ludwig nach der Rückkehr in den Schützengraben die Gasmaske und die Handschuhe abstreifte, ging ihm der Gedanke durch den Kopf, dass er sich noch nie so durch und durch beschmutzt gefühlt hatte. Der Gestank und die Verwesung waren ihm bis ins Mark gedrungen. Wenn er sich nur waschen könnte, mit warmem Wasser und viel Seife! Ein Wunschtraum. Wenigstens gab es an diesem Tag genug Trinkwasser. Mehr durfte er sich nicht erhoffen.
    Am Abend versammelten sie sich an dem Ort, an dem die Beerdigung stattfinden sollte. Mit letzter Kraft hoben sie die Gräber für ihre toten Kameraden aus. Auf Ehrensalven verzichtete man, um dem Feind keinen Vorwand zu liefern, auf einen vermeintlichen Angriff zu reagieren. Zwei Reihen von Soldaten traten zu beiden Seiten der Gräber an, richteten ihre ungeladenen Mauser-Gewehre himmelwärts und ließen den Abzugshahn klicken, als Ersatz für die nicht abgefeuerte Salve. Der Bataillonskommandeur hielt eine knappe Ansprache. »Die Kameraden, die wir hier begraben, sind auf dem Feld der Ehre gefallen. Sie starben einen rühmlichen Tod. Das ist es, was uns alle erwartet.«
    Damit war die Trauerrede zu Ende. ›Wer sind diese Soldaten, die eines rühmlichen Todes gestorben sind?‹, dachte Ludwig. ›Wir wissen nicht einmal, ob all die Leichenteile, die wir beerdigt haben, überhaupt Deutschen gehört haben.‹
    Zwei Tage nach der Bergungsaktion teilte Beck seinen Männern mit, dass eine weitere Offensive bevorstehe. Der Befehl lautete, die französischen Linien zu durchbrechen, und zwar sowohl die Hauptkampflinie als auch die dahinter liegende zweite Frontlinie. Geplant war, eine breite Bresche zu schlagen. »Die ganzeDivision wird angreifen«, erläuterte er, »doch unsere Kompanie ist die Speerspitze. Der Frontabschnitt, den wir angreifen, ist derjenige, der unserer Division am nächsten liegt, und er muss am schnellsten überrannt werden, damit wir die Franzosen, die uns gegenüber in ihren Gräben sitzen, nicht auf einmal im Rücken haben, wenn die Division vorgeht.«
    Wenige Minuten später nahm die deutsche Artillerie die französischen Stellungen unter Sperrfeuer. Doch Becks Soldaten empfanden keinerlei Genugtuung, als der Beschuss begann. Die Fronten waren so nahe, dass sie das Gefühl hatten, selbst im Schussfeld zu stehen, und ihre Befürchtung, direkte Treffer von der eigenen Artillerie abzubekommen, ließ während der ganzen Nacht nicht nach.
    Als sich im Morgengrauen das Sperrfeuer hob und auf die zweite Reihe verlagerte, zeigte sich, dass die Hoffnungen der Angreifer sich nicht erfüllt hatten. Die deutsche Artillerie hatte die vordersten Stellungen des Feindes zwar weitestgehend zerstört, aber die waren in der Nacht nur spärlich besetzt gewesen und wurden erst wieder besetzt, als das Sperrfeuer nachließ. Und die gut getarnten und befestigten Maschinengewehrstellungen waren vollkommen unbeschädigt geblieben.
    Die angreifenden Truppen jedoch wurden durch zahllose Stacheldrahtverhaue und Spanische Reiter gebremst, von deren Existenz offenbar niemand gewusst hatte. Ludwig begriff mit einem Mal, warum die Franzosen in den letzten Nächten so laut gesungen hatten: Ihr Gesang hatte den Bau der Drahtverhaue übertönt, die in aller Eile im Schutz der Nacht errichtet worden waren. Eine erschreckend große Zahl von Soldaten blieb im Stacheldraht hängen und wurde vom Feuerhagel der Maschinengewehre vernichtet. Trotz des wiederholten Befehls zum Sturmangriff blieb der Vorstoß ergebnislos.
    Auch Ludwigs Abteilung hatte sich nach wenigen Metern zu Boden geworfen. Ob die Soldaten tot oder verwundet waren oder nur Deckung suchten, war schwer zu sagen. Ludwig wunderte sich, dass keine Befehle mehr zu hören waren. Vor allem vermisste er die unverwechselbare Stimme des Feldwebels. Ihm fuhr der Gedanke durch den Kopf, dass Beck womöglich gefallen war. Im Schreien und Ächzen der Verwundeten waren einzelne Stimmen kaum zu unterscheiden.
    Ludwig fasste einen Entschluss, der ihn selbst überraschte. »Zurück!«, hörte er sich rufen. »Zieht euch sofort zurück! Aber nur kriechen. Wer nicht getroffen ist, nimmt einen Verwundeten mit. Wer keinen Verwundeten trägt, schießt auf den Feind und gibt Deckung.«
    Als die Soldaten den Graben wieder erreichten, ließen sie sich atemlos und wie betäubt hineinfallen. Geschützdonner und Schreie von Verwundeten gellten ihnen in den Ohren. ›Was habe ich getan?‹, fragte sich Ludwig in plötzlichem Schrecken. ›Ich habe den Rückzug befohlen! Wie

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