Süß wie die Sünde: Roman (German Edition)
sich, welches Interesse die bildschöne Witwe an Jude haben könnte. Waren die beiden womöglich ein Liebespaar? Sie passten eigentlich nicht zusammen. Mrs Wellingsly war eine blasse Schönheit von graziler Anmut und wirkte neben ihm noch zierlicher und zerbrechlicher als ohnehin schon.
»Hm«, machte Marissa, woraufhin Beth sie fragend ansah. »Komm, holen wir uns ein Glas Wein. Sicher wird meine Mutter bald den Tanz eröffnen.«
Es gelang ihr, zwei Gläser Wein und drei Tänze durchzustehen, ohne Jude wiederzusehen, und während sie sich einredete, dass sie ihn absichtlich mied, fühlte sich ihr Ärger verdächtig schmerzhaft an.
Lächerlich. Er bedeutete ihr nichts.
Als sie aber Mrs Wellingsly in einer laut geführten Unterhaltung mit Tante Ophelia beobachtete, hatte sie den Eindruck, ein festes Seil, das ihre Brust verschnürt hatte, wäre gelöst worden. Wo immer Jude sein mochte, er hatte sich nicht mit dieser Frau davongeschlichen.
Sie sah sich nach einem Tanzpartner um und wäre um ein Haar mit Edward zusammengestoßen.
»Kann ich dich im Studierzimmer sprechen?«
Sein Tonfall verhieß nichts Gutes. Stirnrunzelnd folgte Marissa ihrem Bruder aus dem Musikzimmer. »Was ist?«, flüsterte sie. »Ich habe keinen weiteren Brief mehr bekommen, falls du das denkst.«
»Nein, aber ich.«
»Was für einen Brief?«, fragte sie, kaum dass er die Studierzimmertür hinter ihnen geschlossen hatte. Jude und Aidan waren bereits da.
Gar nicht gut.
»Cousine May schrieb, um uns zu warnen, dass sie Gerüchte über einen privaten Streit zwischen dir und Peter White gehört hat. Es ist heikel, die Dinge weiter in der Schwebe zu lassen.«
»Aber …«
»Ich gebe die Verlobung bekannt.«
»Du hast versprochen, mir Zeit zu lassen!«
Edward verschränkte seine Arme vor der Brust. »Verlobungen können aufgelöst werden. Aber wenn sich diese Geschichte verbreitet, kann ich nichts mehr für dich tun, Marissa. Eine Verlobung mit Jude Bertrand wird für Aufsehen sorgen und entweder die Gerüchte ersticken oder zumindest den wildesten Spekulationen entgegenwirken. Die Leute würden einen Streit zwischen Mr White und dir auf deine wachsende Zuneigung für Jude schieben.«
Ihr Verstand suchte fieberhaft nach einem Einwand, doch im Grunde war es die einzig vernünftige Lösung. Marissa sah Jude an, der sie ernst betrachtete. Er trat einen Schritt vor, aber sie schüttelte den Kopf. Sie wollte nicht hören, was er zu sagen hatte. Diese Entscheidung traf sie, wie es sich für eine Erwachsene gehörte. »Wann geben wir sie bekannt?«
»Baldmöglichst«, antwortete Edward. »Heute Abend werde ich diese Harfenistin unterbrechen, die Mutter engagiert hat. Das dürfte recht dramatisch sein.«
»Ja, gut.«
Jude räusperte sich. »Darf ich einen Moment mit Marissa allein sprechen?«
Ihre Brüder gingen, allerdings erst, nachdem Aidan noch einmal vor ihr stehen geblieben war und eine Hand auf ihren Arm gelegt hatte. Er sah besorgt aus, aber Marissa beruhigte ihn mit einem Nicken. Dann verließ er das Zimmer und schloss die Tür mit einem leisen Klicken.
»Dies ändert nichts für Sie«, sagte Jude. »Ich akzeptiere nach wie vor Ihren Plan.«
»Danke.«
»Sie sollten jedoch wissen, dass ich auch bei meinem Plan bleibe. Skandal oder nicht, ich beabsichtige, Sie zu heiraten, wenn Sie mich wollen. Und nur, wenn Sie mich wollen.«
»Und das alles, weil Sie mein überspanntes Naturell bewundern?«
»So ungefähr.«
Er kam näher, und Marissa war, als würde der Raum schrumpfen und die Luft wärmer werden. Dann stand er vor ihr, und seine Hand berührte ihr Kinn, wie sie es schon einmal getan hatte. Das letzte Mal hatte sie gedacht, er würde sie küssen. Nun wusste sie beim besten Willen nicht, was er vorhatte.
»Erweisen Sie mir die Ehre, meinen Antrag anzunehmen, Marissa York?«
»Ich …« Bei Gott, alles, was er tat, war ein Rätsel. »Sie wissen, dass …«
»Ja.«
»Gut. Dann, ja, ich schätze, das tue ich.«
Auf seinem Gesicht erschien das bereits vertraute, etwas schiefe Lächeln. »Ich bin mir nicht mehr sicher, dass Sie eine Romantikerin sind«, sagte er, hob ihr Kinn ein wenig und beugte seinen Kopf. Gütiger Gott, endlich würde er sie küssen!
Er bewegte sich so langsam, dass sie ihren eigenen Atem zwischen ihnen spürte. Sie ließ ihre Augen offen, aus Sorge, er könnte sich zurückziehen, wenn sie nicht aufpasste. Aber endlich, endlich berührte sein Mund den ihren, und sie seufzte vor Erleichterung.
Seine
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