Süß wie die Sünde: Roman (German Edition)
tanzte.
Edward hingegen hatte sie gesehen, und kaum nickte Marissa ihm zu, schritt er mit ernster Miene zu den Musikern.
Er hob beide Hände, und die Melodie verklang. Einzig die Harfe hallte noch länger nach, als wollte das Lied nicht enden.
»Meine Damen und Herren, ich habe heute Abend wunderbare Neuigkeiten, und es freut mich, dass Sie alle hier sind, um das Glück unserer Familie zu teilen. Mr Jude Bertrand, ein ehrbarer und guter Freund der Familie York, hat um die Hand meiner Schwester angehalten, und ich habe ihm mit Freuden meinen Segen gegeben.« Ein schockiertes Raunen ging durch den Raum. »Ich möchte Sie bitten, sich meinen Glückwünschen für das junge Paar anzuschließen.« Er machte eine Geste, und alle drehten sich zu Marissa und Jude um. »Wir sind alle sehr … glücklich … über dieses Arrangement.«
Keinem schien die ungeschickte Formulierung ihres Bruders aufzufallen. Wahrscheinlich hatten sie sie gar nicht gehört, weil alle aufgeregt tuschelten und flüsterten. Es gab nicht ein Gesicht in der Gästeschar, das nicht mehr oder minder ungläubig aussah.
Lächelnd hielt Marissa Judes Arm, blickte sich um und entdeckte Mr Dunwoody. Dessen Miene wirkte ziemlich verdutzt, halb zweifelnd, halb entsetzt.
Tatsächlich sprachen einige Mienen für etwas, das man typischerweise als Entsetzen bezeichnen würde. Marissa bemühte sich, noch strahlender zu lächeln, doch vor lauter Scham waren ihre Lippen wie taub. Sie schämte sich ihrer selbst, wenn sie ehrlich sein sollte, aber auch Judes. Niemand klatschte. Niemand rief aufmunternde Worte. Offenbar wollte keiner glauben, dass Marissa York diesen Mann heiraten würde. Und natürlich würde sie es unter normalen Umständen auch nicht tun. Dieses Wissen fühlte sich wie ein Wackerstein in ihrem Bauch an.
Als sie jedoch zu Jude aufblickte, sah er nicht im Mindesten verlegen aus.
»Ich fühle mich schon geehrt«, sagte er laut, »dass Miss York mir auch nur ein Lächeln gönnt. Dass sie meinen Antrag annahm, erfüllt mich mit Demut.«
»Hört! Hört!«, rief Edward, und den Gästen blieb nichts anderes übrig, als einzustimmen. Aidan begann zu klatschen, und die anderen schlossen sich ihm an. Als die Musik wieder einsetzte, war Marissa unsagbar froh. Es war vollbracht; und ohne Zweifel würde das Gerede über ihre Verlobung sämtliche anderen Gerüchte übertönen.
Jude zwinkerte ihr zu, als ein paar tapfere Seelen zu ihnen kamen, und seine Gelassenheit half ihr, sich zu beruhigen. Jeder andere Mann hätte längst schon einen hochroten Kopf und würde schäumen vor Wut. Aber Jude war so gefasst wie eh und je. In diesem Moment schien seine grobschlächtige Statur überhaupt nicht mehr wichtig. Seine Stärke bestand in weit mehr als Muskeln und Knochen.
Die nächsten Minuten nahmen sie höchst bemühte Glückwünsche entgegen, bevor Cousin Harry kam und Jude mit einem herzlichen Lachen auf die Schulter klopfte. Selbstverständlich war er eingeweiht, doch er spielte tadellos. Der gute Harry war der Star in jedem Theaterstück, das Marissas Mutter aufführte, und auch diese Rolle beherrschte er glänzend. Seine Umarmung war spontan und echt und seine Gratulation herzlich. Die Spannung im Raum löste sich, und Marissa stellte fest, dass sie ebenfalls entspannter wurde, während sie an Judes Arm hing, lachte und scherzte.
Für einen Moment fühlte es sich beinahe real an. Sie war glücklich, sie würde heiraten, und sie würde diesen Mann lieben. Dann jedoch traf ihr Blick auf Beths Gesicht, starr vor Schreck, und ihr fiel wieder ein, dass dies alles ein schrecklicher Fehler war.
Kapitel 9
M arissa trieb ihr Pferd durch die kühle Morgenluft. Dampf stieg von den Nüstern ihrer Stute auf, wehte an Marissas Stiefeln vorbei und verschwand im grauen Licht. Sie genoss die Jagd nicht, sprang nicht gern, aber dies hier liebte sie: Geschwindigkeit. So schnell zu reiten, dass es sich anfühlte, als würde sie fliegen.
Sie wünschte, sie könnte fliegen.
Nach Edwards Bekanntgabe hatte es keinen Tanz mehr gegeben. Das neue Theaterstück wurde geprobt, Karten und Scharade gespielt, aber nicht getanzt. Marissa nutzte es als Vorwand, sich zeitig zurückzuziehen. Eigentlich wollte sie den subtilen Fragen und misstrauischen Blicken von vierzig Leuten entkommen, die ihre Beziehung zu Jude enträtseln wollten.
Beth war nicht bloß verblüfft gewesen. Sie sah regelrecht ängstlich aus. Und als Marissa um kurz vor Mitternacht ein sanftes Klopfen an ihrer Tür
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