Süß wie die Sünde: Roman (German Edition)
weil er so … jung wirkte. Sie war sich beinahe sicher, dass er wütend oder angeekelt auf ihre Geschichte reagieren würde. Unmöglich konnte sie sich Mr Dunwoody vorstellen, wie er sie fragte, ob sie schon geblutet hätte.
Bei dem Gedanken krümmte sie sich innerlich. Zugleich tauchten vor ihr die Umrisse des Herrenhauses aus dem Dunst auf.
Schön oder nicht, Jude Bertrand war ein Mann, der sie durch diesen Nebel führen könnte. Was immer sie an Zweifeln an ihm gehabt hatte, war längst weit weggetrieben.
»Nun denn«, fuhr Mr Dunwoody endlich fort, »darf ich Sie fragen, was Sie von Miss Samuel halten?«
Marissas Herz vollführte einen kleinen Sprung. »Oh, Beth ist wundervoll, meine liebste Freundin. Sie ist freundlich und loyal, und gewiss haben Sie schon festgestellt, dass sie eine exzellente Tänzerin ist. So elegant.«
»Natürlich. Sie ist liebreizend und zart. Sehr nett.«
»Ja.«
»Was ist mit Miss Nanette Samuel? Ihr müssten Sie auch sehr nahestehen.«
»Nanette? Ähm, ja, ich habe auch mit ihr schon einige Zeit verbracht.«
»Sie ist bezaubernd schön und sehr lebhaft, nicht wahr?«
»Hm.« Marissa überlegte. Sagte sie, was sie wirklich dachte, würde Mr Dunwoody es als die bitteren Verleumdungen einer Rivalin abtun. Sprach sie sich hingegen lobend über Nanette aus, würde er ihr glauben. Sie holte tief Luft. »Nanette ist schön«, sagte sie und schluckte ihre Befürchtungen hinunter. Falls er klug war, könnte er das schlichte Kompliment als das nehmen, was es war. Und war er Beths würdig, erkannte er die Wahrheit von allein.
»Ja«, murmelte er, »das ist sie.«
Marissa umfasste ihre Zügel fester und betete, dass sie das Richtige getan hatte. Leider hatte sie nun ein weiteres Geheimnis vor Beth zu wahren.
Seltsamerweise sehnte sie sich danach, Jude allein zu sehen und ihm von ihren Sorgen zu erzählen. Was für ein bizarrer Wunsch, mit einem Mann reden zu wollen. Fürwahr bizarr.
Kapitel 10
M arissa war nicht zum Mittagessen erschienen, und Jude wurde allmählich besorgt, denn sie aß ausgesprochen gern, auch wenn sie solch damenhaft zarte Bissen nahm, dass kaum jemandem auffiel, wenn sie drei Portionen vertilgte. Wie sie es schaffte, so schlank zu bleiben, war Jude unbegreiflich.
Stirnrunzelnd blickte er auf den Teppich, während er den Korridor entlangschritt.
Er hatte Aidan gebeten, sich zu erkundigen, was mit ihr war, und ihr Bruder war mit der Nachricht zurückgekehrt, sie würde ein Nickerchen machen. Danach war Aidan fröhlich von dannen gezogen, und Jude sorgte sich immer noch.
War sie krank? Bereute sie die Verlobung? Auf keinen Fall wollte er, dass sie sich quälte. Er glaubte ehrlich, sie würden zusammenpassen, sonst hätte er sich nie hierzu bereit erklärt. Aber wusste sie das?
Er verlor die Geduld mit sich selbst und beschloss, sie einfach zu fragen. Deshalb war er nun auf den Weg zu Marissas Zimmern im ersten Stock.
Auf sein erstes leises Klopfen hin öffnete sie nicht, also versuchte er es noch einmal. Dann fragte er sich, ob es seinem Ziel nicht zuwiderliefe, sie aus dem Schlaf zu reißen. Er hatte den Eindruck, dass Marissa York nicht besonders wohlgestimmt aus dem Schlaf erwachte.
»Was ist?«, rief sie, als er sich bereits zum Gehen wandte.
Vor Schreck war er zunächst stocksteif. »Ich bin es. Jude.«
Stille.
»Ich wollte nach Ihnen sehen.«
Sie murmelte etwas.
Jude beugte sich näher an die Tür und glaubte, das Wort »Männer« zu verstehen, aber sonst nichts.
»Einen Moment«, rief sie lauter.
Und so stand Jude auf dem Korridor wie ein kleiner Junge, der seine Strafe erwartete. Ewige Minuten später öffnete Marissa die Tür und zog ihn ins Zimmer.
Und Jude starrte sie wie ein ungezogener Junge an.
Sie sah wundervoll aus. Ihr gewöhnlich so sorgfältig frisiertes Haar war zu einem schlichten Zopf geflochten, der ihr weich über die Schulter fiel. Ihre Wangen und die Lippen waren rosig, als käme sie geradewegs unter den warmen Decken hervor. Und ihre Lider sahen schläfrig schwer aus. Falls sie heirateten, sähe er sie jeden Morgen so.
»Möchten Sie einen Tee?«, fragte sie.
»Sie sind wunderschön.«
Misstrauisch zog sie die Brauen zusammen und berührte mit einem kleinen Schnauben das Ende ihres Zopfes. »Entweder sind Sie von Sinnen oder ein Lügner. Ich habe geschlafen.«
»Sind Sie krank?«
Ihre Hand wanderte zu ihrem Bauch, wodurch Judes Blick auf ihren weißen Morgenmantel gelenkt wurde. »Nein, ich konnte nur letzte Nacht
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