Süß wie die Sünde: Roman (German Edition)
vor Monatsende um Gnade bettelte.
Kapitel 12
E inen ganzen Tag lang war es ihr gelungen, Jude aus dem Weg zu gehen, ohne sich einzugestehen, dass sie sich versteckte. Das tat sie nicht. Sie fühlte sich schlicht … seltsam.
Nicht ängstlich. Dennoch begann ihr Herz ohne jeden Anlass wild zu pochen, sobald sie sich an das erinnerte, was sie getan hatte – und was er getan hatte.
Sie hockte auf der Kante ihres Bettes und presste die Fingerspitzen auf ihre Lippen, als könnte sie auf diese Weise die Gefühle zurückhalten, die ihr die Kehle zuschnürten. Erregung und Furcht, Freude und Reue, sie alle fochten in ihr. Ähnlich musste sich ein gehetztes Tier fühlen, mit dem einzigen Unterschied, dass sie insgeheim gefangen werden wollte.
Was überhaupt keinen Sinn ergab, und deshalb wusste sie beim besten Willen nicht, was sie zu ihm sagen oder wie sie ihm auch bloß in die Augen sehen wollte. Es war einfacher, den Tag mit Beth, ihrer Mutter und den anderen Damen zu verbringen und sich die Zeit mit damenhaften Beschäftigungen zu vertreiben.
Doch immer wieder überkam sie jene merkwürdige Sehnsucht: ein nagendes Gefühl, dass sie etwas nicht begriff. Und dann fiel es ihr wieder ein.
Jude.
Sie hatte gewusst, dass Männer ihr ungeahnte Wonnen bescheren konnten. Das hatte sie rein zufällig zwei Jahre zuvor entdeckt, auch wenn sie schon früher Angenehmes erfahren hatte. Trotzdem blieb ihr rätselhaft, dass es Jude sein konnte. Jude, den sie früher nicht mal angesehen hatte.
Wäre es ein anderer Mann gewesen, hätte sie ihn bei der nächsten Begegnung vermutlich mit einem gekünstelten Lächeln bedacht, wäre ein bisschen errötet, hätte mit den Wimpern geklimpert und einige hitzige Blicke mit ihm ausgetauscht. Aber mit Jude hatte sie nie geflirtet, und sie käme sich schlichtweg albern vor, würde sie ihn anklimpern und affektiert kichern.
Nein, sie hatte keine Ahnung, wie sie ihm gegenübertreten sollte, und dennoch blieb ihr keine andere Wahl.
Vor einer halben Stunde hatte sie den endgültigen Beweis erhalten. Es würde kein Kind geben, und sie musste es ihm sagen. Es war unfair, die Sache länger hinauszuzögern. Vorausgesetzt, Mr White verbreitete keine Geschichten, bestand kein Grund für eine eilige Heirat oder überhaupt für eine Heirat. In wenigen Wochen könnte die Familie ohne viel Aufhebens bekannt geben, dass die Verlobung aufgelöst wurde. Niemand wäre überrascht. Der Name York bliebe unbefleckt, wenn auch noch stärker mit melodramatischen Verwicklungen assoziiert als ohnedies schon, und es würde wieder Normalität einkehren. Marissa mochte quasi eine beschädigte Ware sein, aber eine insgeheim unvollkommene Ehefrau war nicht annähernd so schlimm wie eine Verlobte, die bereits das Kind eines anderen trug.
Und warum saß sie nun auf ihrem Bett und ballte beide Hände vor Angst? Warum rannte sie nicht nach unten, um Jude die freudige Botschaft zu überbringen?
Als ihre Tür geöffnet wurde, atmete Marissa tief ein und stieß einen Seufzer aus, der verdächtig weinerlich klang.
Ihre Mutter bemerkte es nicht. »Du wolltest mich sehen, meine Liebe?«
»Ja, Mutter. Ich bin mir jetzt sicher, dass es kein Kind geben wird, also müssen Sie sich deshalb keine Sorgen mehr machen. Zwar weiß ich durchaus, dass noch Folgen eintreten könnten, die meiner Reputation schaden, aber falls nicht … gibt es keinen Grund, diese Verlobung fortzuführen.«
»Oh, Marissa!«, quiekte ihre Mutter. »Oh, mein gutes Kind, das sind wundervolle Neuigkeiten! Einfach wundervoll! Ich wagte gar nicht, mir deine Hochzeit mit diesem Mann vorzustellen. Seine Anwesenheit ist so erdrückend, nicht wahr? Und er ist ja eigentlich auch nicht direkt respektabel, ungeachtet des Herzogs.«
»Hm.«
»Nun, dies sind großartige Nachrichten. Wir warten, bis eine angemessene Zeit vergangen ist, bevor wir die Auflösung bekannt geben, versteht sich. Und wir sollten uns eine spannende Geschichte überlegen. Ich schätze, wir dürfen Mr Bertrand nicht in ein schlechtes Licht setzen, nachdem er so freundlich war. Ja, wir sollten mit Bedacht vorgehen. Ach, wäre es doch nicht so schrecklich langweilig, vernünftig zu sein!« Sie machte eine kurze Pause, bevor sie sich vorbeugte und Marissa umarmte. »Oh, mein Liebes, ich freue mich sehr für dich. Wie erleichtert du sein musst! Ich gehe gleich zum Baron und erzähle es ihm.«
Sie sprach stets von Edward als dem Baron, es sei denn, sie wollte etwas mehr Drama; dann rief sie ihn »Mein
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