Süß wie die Sünde: Roman (German Edition)
Sohn!«.
»Ich würde lieber erst mit Jude sprechen, Mutter. Es wäre nur anständig. Könnten Sie noch etwas warten?«
»Ja, ja, du musst es ihm zuerst sagen. Ich erzähle es dem Baron vor dem Dinner. Wie ist das?«
Marissa nickte und erwiderte das Lächeln ihrer Mutter, obgleich ihr das Herz in der Brust bleiern schwer war und es das Lächeln noch schlimmer zu machen schien.
Doch während ihre Mutter fröhlich vor sich hinsummend aus dem Zimmer rauschte, zwang Marissa sich dazu, aufzustehen, und schob ihre Übelkeit auf die Umstände. Natürlich war ihr unwohl, und ihre Stimmung war schlecht – wie zu erwarten.
Sie ging so langsam die Treppe hinunter, dass sie jeweils vier Herzschläge pro Stufe benötigte. Das wusste sie, weil sie mitzählte, Zeit schindete und noch langsamer schritt, wenn der Takt versehentlich schneller wurde.
Aber trotz aller Verzögerungstaktik rückte der Marmorboden der Diele näher, und bald schon stand sie unten und überlegte, wohin sie gehen sollte. Das Studierzimmer ihres Bruders schien ihr ein guter Anfang. Dort war niemand. Auch die Bibliothek nebenan und die Salons waren verlassen. Anscheinend kleideten sich alle fürs Abendessen um.
Marissa blickte die Treppe hinauf, über die sie gerade nach unten gekommen war. Es ziemte sich nicht, zu Judes Zimmer zu gehen; andererseits war an ihrer Beziehung ohnehin nichts Anständiges. Oder an dem, was sie gestern Abend getan hatten. Gab es einen Namen für jene hitzige, sinnliche Umarmung? »Küssen« oder »Berühren« trafen es wohl kaum.
Für einen Moment verlor sie sich in der Erinnerung an jene kostbaren Minuten. Sie hüllte sie ein und trug sie zurück in Jude Bertrands Arme. Derweil kam es ihr vor, als würde ihr Körper seine Funktionen neu ordnen. Jene, die gewöhnlich still und unbemerkt abliefen, meldeten sich mit ungekannter Lebhaftigkeit. Und andere, die sonst mit selbstverständlicher Fertigkeit abliefen – ihre Knie, die sie trugen, ihre Lunge, die atmete, ihr Herz, das schlug –, waren offenbar entschlossen, ab sofort den Dienst zu quittieren.
Sie sollte sich nicht zu seinem Zimmer hinaufschleichen. Es wäre nicht klug. Aber sogar noch nachdem sie einmal tief Luft geholt und ihr Herz ein wenig beruhigt hatte, zog es sie dorthin.
Wartete sie, würde sie sich bald wieder normal fühlen, was gegenwärtig bedeutete: ängstlich und feige. Also setzte Marissa den Fuß auf die unterste Stufe und stieg nach oben. Diesmal vergingen nur zwei Herzschläge pro Stufe. Sie eilte dem entgegen, was sie nicht tun sollte. Allmählich schien dies zu ihrem Lebensmuster zu werden, worüber sie lieber nicht nachdenken wollte.
Als sie in den Südflügel des Herrenhauses einbog, sah sie ein Hausmädchen aus einem der Zimmer kommen.
»Mr Bertrand wird dringend im Studierzimmer verlangt. Welches Zimmer ist seines?«
»Das grüne Zimmer, Miss.«
Marissa lief weiter, den Flur entlang, um die Ecke. Da.
Sie hätte ja gezögert, noch eine Weile dort gestanden und mit sich gerungen, aber was, wenn jemand sie sah?
Marissa klopfte hektisch an die Tür. Er musste sehr nahe gewesen sein, denn noch während sie ihn »Ja?« rufen hörte, drehte sich der Türknauf.
Gewiss würde gleich jemand aus einem der anderen Zimmer herauslugen, deshalb schlüpfte Marissa hastig hinein, noch ehe er die Tür ganz geöffnet hatte.
»Jude«, flüsterte sie und schloss die Tür hinter sich. Er war so dicht vor ihr, dass sie den Kopf in den Nacken legen musste, um ihn anzusehen. Und der Duft seiner Haut umfing sie, als sie sich mit dem Rücken an die Tür drückte.
Nein, sie drückte sich nicht dagegen. Das war Jude, dessen Hände sie sanft an die Tür lehnten. Er beugte den Kopf und küsste sie.
Sein Mund war weit entflammender als die Erinnerung an seinen Kuss. Als sie ihm ihre Lippen öffnete, begann ihr Blut zu kochen und Druck auf ihre empfindlichsten Stellen auszuüben. Er schmeckte göttlich, und bei den Bewegungen seiner Zunge fingen ihre Beine zu zittern an, weil sie daran dachte, wie seine Finger in ihr gewesen waren.
Es war so … ungehörig gewesen. Nie hatte sie sich wilder gefühlt, genauso verrucht, wie er sie genannt hatte.
Und nun wollte sie es wieder erleben. Sie wollte die Arme über den Kopf heben und überall von ihm berührt werden. Er sollte sie ausziehen, sie in ihrer Nacktheit ansehen. Plötzlich entsann sie sich wieder, dass sie dazu nicht in der Verfassung war. Deshalb kam sie ja her.
Zitternd vor Anstrengung stemmte Marissa eine
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