Süß wie die Sünde: Roman (German Edition)
auseinanderführten, nutzte Marissa die Gelegenheit, sich seine langen, eleganten Beine genauer anzusehen. Doch dann ging etwas schief. Seine Hose war hervorragend geschnitten, betonte die Schenkel aufs Trefflichste. Nur schienen Marissa die Konturen … wenig beeindruckend. Sein Abendrock war vorzüglich gearbeitet, aber nicht einmal die gepolsterten Schultern … Nein, Marissa konnte sich einfach nicht vorstellen, dass Mr Erickson sie hochhob und in eine Laube trug.
Sie rang sich ein besonders strahlendes Lächeln ab, als er ihr neckisch zuzwinkerte. Schließlich kam es nicht darauf an, dass ein Herr einen tragen konnte. Entscheidend waren das Küssen und das Streicheln, und beides dürfte die leicht anämische Haut nicht weiter beeinträchtigen. Sie besagte lediglich, dass er darauf achtete, immer mit Hut zu reiten.
Und seine Lippen waren eindeutig zum Küssen geschaffen, rosig und voll. Ja, Mr Erickson würde sie sanft und talentiert küssen, dessen war sie sich sicher.
Leider stimmte auch mit diesem Gedanken etwas nicht, denn als sie an ihm vorbeischritt und die Hand des nächsten Tänzers nahm, verloren talentierte Küsse all ihren Reiz. Stattdessen malte Marissa sich einen Mund aus, der sie forderte, sich ihm zu öffnen und hinzugeben. Sie dachte an Hände, die sie hochhoben und hielten, während der dazugehörige Gentleman mit ihr tat, was immer er wollte.
Und als sie sich wieder zu ihrem Tanzpartner zurückdrehte, füllte er enttäuschend wenig Raum in ihrem Sichtfeld aus. Dabei war er wirklich hübsch, kein Zweifel, und sie könnte durchaus stundenlang in diese blauen Augen sehen.
Hierauf konzentrierte sie sich bei den letzten Tanzschritten: auf seine Augen und die Art, wie sie lächelten, weil Marissa sie ansah.
Bis er sie von der Tanzfläche führte, hatte Marissa ihn sich wieder zum idealen jungen Mann gedacht -weder unzulänglich noch enttäuschend.
Dann jedoch wandte sie sich um und fand sich von Angesicht zu Angesicht mit Jude Bertrand.
Sie musterte ihn von oben bis unten, ehe sie ihm ins Gesicht sah.
»Miss York«, raunte er.
»Mr Bertrand.«
»Genießen Sie den Tanz?«
»Tue ich. Und Sie, Sir?«
»Nun, Miss York, ich würde diesen Abend noch mehr genießen, wenn Sie mir die Ehre erwiesen, mit mir zu tanzen.«
»Ich … wie bitte?« Seine schwindelerregend breiten Schultern mussten ihr die Sinne vernebelt haben. »Tanzen?«
»Ja, ein Tanz. Mit Ihrem Verlobten. Ist das zu viel verlangt?«
»Selbstverständlich nicht. Nein.«
»Dürfte ich um den ersten Walzer bitten?«
Konnte er überhaupt tanzen? Sie kam sich undankbar vor, als sie bang an ihre Zehen dachte. Vor allem aber fürchtete sie um ihr armes Herz, das bei der Vorstellung, von ihm berührt zu werden, in einen gänzlich ungesunden Rhythmus verfiel.
Der erste Walzer. Wann wäre der? In wenigen Momenten? In einer Stunde? Marissa blickte zu ihm auf, gebannt von seinen Augen. Endlich schenkte er ihr sein träges Lächeln, und sie bemerkte, dass es ihr gefehlt hatte. Sie hatte dieses Gefühl eines heimlichen Scherzes, den nur sie beide kannten, schmerzlich vermisst.
Neben ihr räusperte sich jemand. Marissa blinzelte und drehte sich zu einem Gentleman um, der sich linkisch verneigte. »Verzeihen Sie die Störung, aber ich glaube, dies ist mein Tanz.«
»Oh, Mr Jessup, ja, richtig.« Sie nahm seinen Arm und sah sich nur noch einmal kurz zu Jude um, als sie ging. Im Geiste untersagte sie sich, den schmächtigen Arm unter ihrer Hand wahrzunehmen.
Jude Bertrand mochte ein Freund sein, aber er war kein Mann, den sie zu heiraten beabsichtigte. Ein kräftiger Knochenbau war kein Kriterium für einen Ehemann. Gar keines.
»Sie beobachten sie«, sagte eine leise Stimme hinter ihm. Jude wandte sich zu Patience Wellingsly um, die ihn anlächelte. Vor einer Woche hatte sie die Hausgesellschaft der Yorks verlassen, war allerdings zum Anwesen eines Cousins in der Nähe gereist, sodass es Jude nicht wunderte, sie hier zu sehen.
»Wie bitte?«, fragte er.
»Ihre Verlobte. Sie beobachten sie, als wäre niemand sonst in diesem Saal.«
Er neigte den Kopf.
»Ich wünschte, mich würde jemand so ansehen«, seufzte sie.
»Aber, Mrs Wellingsly, Sie sind wunderschön. Liebreizend. Erzählen Sie mir nicht, dass die Herren Sie nicht genauso ansehen.«
»Nicht die Richtigen.«
In diesem Augenblick wirkte sie so einsam und verloren, dass Jude ihr seinen Arm anbot und sie zu ein paar Stühlen am Saalrand begleitete.
»Erlauben Sie mir, offen zu
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