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Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Titel: Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Schreiber
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Baum, dann packte ein Greifarm den Stamm, und ein starker Motor schüttelte so kräftig, bis
die Früchte auf die Unterlage fielen. Dazu viele Blätter und einzelne Ästchen, die später mit einem starken Gebläse fortgeweht wurden. Annie liebte die
außergewöhnliche Kraft dieser Maschine und spürte maßlose Lust, auf dieselbe Weise mal das Herz ihrer Mutter oder das Hirn ihres Opas gehörig durchzurütteln, damit
sie das Verreisen ließen.
    Pro Baum dauerte es nicht länger als zwei Minuten, und er war abgeerntet, aber auch völlig verstört, und brauchte viele Monate, um sich zu erholen. Auf diese Art geerntete
Bäume starben deutlich früher als die von Hand gepflückten, doch man sparte Arbeitslohn, und die Ernte war zügig erledigt.
    Der einzige Besitzer einer Rüttelmaschine im gesamten Landkreis war Annies Onkel Hans, der seine Geräte gegen hohe Gebühren allen Plantagenbesitzern in der Umgebung anbot. Annie
traf ihn in seiner Garage an, die so groß war wie anderer Leute Wohnungen. Alles an diesem Mann war riesig, er selbst ganze zwei Meter groß und gehörig dick dazu. Mit Obst
aufgewogen, wäre sein Gewicht auf dem Markt eine Menge wert gewesen.
    Sie stellte sich beinahe gebeugt vor ihn hin, um ihre Bitte zu unterstreichen: »Guten Tag, Onkel Hans, ich wollte …«
    Er popelte in seiner Nase, während er sprach: »Deine Mutter ist durchgedreht, hab ich gehört.«
    »Sie macht bloß eine Schreikur, wegen der Lunge. Ich wollte …«
    »Ich hab gehört, dein Opa ist auch durchgedreht«, unterbrach er sie erneut, nahm sich jetzt die Ohren vor, reinigte sie mit der Spitze seines kleinen Fingers.
    »Der ist mit seiner Freundin in Urlaub, weil er so friert. Es geht um …«
    Der Onkel lachte schrill: »In seinem Alter! Soll ja ein schöner Tod sein mit so ’m jungen Ding. Aber ’ne Ausländerin, pfui Deiwel. Ihr seid mir vielleicht ein Pack,
mein lieber Scholli!«
    »Wegen der Pflückmaschine, Konditionen wie letzten Sommer?«, versuchte sie es tapfer. »Unsere Kirschen sind so weit, nächsten Montag früh?«
    Der Onkel suchte nun nach Essensresten zwischen seinen Zähnen, und zwar mit dem Finger, der vorher noch in der Nase gesteckt hatte. Trotz der Hitze stand er in Gummistiefeln neben seinem
teuren Jeep, seine Füße dampften gewaltig, sein Schweiß war meterweit zu riechen.
    »Wer soll denn ernten?«, fragte er und setzte sich ächzend auf den Fahrersitz, indem er seinen Bauch vor das Lenkrad klemmte.
    Annie richtete sich nun kerzengerade auf und erklärte selbstbewusst: »Ich erledige das.«
    Da lachte er: »Jetzt ist das Gör auch durchgedreht«, schlug die Wagentür zu und startete den Motor.
    Annie sah die Aussicht schwinden, dass er für sie tätig würde: »Liebster Onkel, wir sind doch verwandt, hilf mir, ich …«
    »Verwandt? Wir beide? Onkel nennst du mich, dann müsste ich ja der Bruder deiner Mutter sein, bin ich aber nicht. Ich bin ein Sohn von der Schwester deines Opas, also. Was für
ein Verwandtschaftsgrad soll das sein? Ich kenn dich kaum. Und selbst wenn wir soo dicke wären …«, er presste Daumen und Zeigefingerspitze aneinander, »müsste ich mich
schämen, so wie du rumläufst.«
    Annie fühlte sich gekränkt, doch der Onkel beleidigte ihre Familie in einem gewaltigen Wortschwall weiter: »Meine Mutter kann deinen Opa nicht mal leiden, außerdem ist sie
nur seine Halbschwester. Also, Mädchen. Bloß weil wir über zig Ecken ein paar Gene teilen? Dann müsste ich ja jedem Schimpansen meine Schüttelmaschine für umme
leihen, bin ich blöde? Bin ich nicht!«
    Und ohne ihre Antwort abzuwarten, fuhr er los. Eine Pflückmaschine, so viel war Annie klar geworden, würde sie diesen Sommer nicht zur Verfügung haben.
    Die fast in Vergessenheit geratene Art der Kirschernte, nämlich die per Hand, begann mit einer Annonce in der Lokalzeitung. Wo wird wann
gepflückt , stand da zu lesen, Akkordlohn, jedermann willkommen , fertig. Etwas Ähnliches könnte auch sie in die Zeitung setzen, es sprach
Schüler, Hausfrauen und Rentner an, die kurzfristig etwas verdienen wollten und mit wenig Geld zufrieden waren. Sie würde auf diese Leute aufpassen müssen, damit sie vernünftig
pflückten, keine Kirschen hängen ließen, keine Äste abbrachen und keine Früchte klauten. All das hatte Nette bislang getan, und Annie traute sich zu, die Aufsicht genauso
gut zu führen. Das Problem aber kam nach Feierabend: Da wurde abgerechnet, gewogen und pro Kilo gepflücktes Obst bezahlt, bar

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