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Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Titel: Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Schreiber
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liegen lassen? Wie kann meine eigene Mutter sich davonmachen? Und Opa. Erklär mir
das!«
    Auch dem Kleinen fehlten die Worte.
    »Weißt du, was ich später mal mache? Jetzt bekommst du einen Schreck, ich geh zur Polizei.«
    Annie stand auf, holte ein Päckchen aus dem Schrank und setzte sich wieder, noch immer den Kleinen behutsam im Arm.
    »Willst du mal sehen, was ich habe? Eine Knarre hab ich, das wird dich interessieren, du alter Bandenchef, damit schieße ich Raketen ab, die über die Plantage pfeifen. Hier
kommt die Munition rein, siehst du? Dann entsicherst du hier, nicht anfassen. Das kann gefährlich sein, Achtung mit der Waffe, ich trage die Verantwortung dafür.«
    Sie nahm die Pistole und hielt sie sich zum Scherz an die Schläfe, wie sie das in Krimis gesehen hatte. Aber nie im Leben würde sie wirklich abdrücken, es war halt cool, mehr
nicht. In diesem Moment jedoch sollte das jemand missverstehen, der es von draußen sah und Alarm schlug.
    In schwierigen Zeiten half Annie die Vorstellung, dass es noch viel schlimmere Umstände gab. Etwa, wenn sie einer besonders unbeliebten Lehrerin beim Möbelkauf helfen
und berechnen müsste, wie viele Regale und Seitenteile sie brauchte für eine so und so lange und so und so breite Wand. Diese Lehrerin, die ihr da vorschwebte, existierte nicht mal, und
ihr Wunsch nach Regalen demnach ebenso wenig. Dieser Gedanke half Annie bloß, sich mit dem Leben abzufinden, sobald es für sie unverständlich wurde.
    Und jetzt gerade berechnete sie eine enorm lange Wand! Denn sie war nicht mehr daheim, auch nicht in ihrer Plantage, sie war nicht draußen, sondern eingesperrt, das Kind war ihr
weggenommen worden, und von all dem war ihr so elend, dass sie weiter und weiter lieber Regale berechnete und in Gedanken hinter der bescheuerten Lehrerin hertrottete, als zu schreien.
    Plötzlich waren alle da. Erst hatte Annie tagelang die ganze Arbeit allein am Hals gehabt, dann war Paula unerwartet gekommen und plötzlich wieder gegangen,
dazwischen deren Schmerz, der leblose Mensch, ihr Klopfen auf seinen Rücken und der Gedanke, was geworden wäre, wenn sie das nicht gemacht hätte, und nun waren mit einem Mal lauter
Leute um sie herum. Als würde hier ein Krimi gedreht, bloß die Kamera fehlte. Zugegeben, sie saß mit einer Browning und einem Baby in der Küche. Klar, wird sie später
eingestehen müssen, das sah blöd aus. Extrem gefährlich sogar. Annie hatte sich das alles auch nicht ausgesucht. Was sollte sie machen? Das Baby war geboren und nun mal da. Die
Knarre hatte schon immer herumgelegen, sie hatte sie oft auseinandermontiert oder an ihre Schläfe gehalten, das mag man albern finden. Die Kombination aber, Kind und Knarre, war ein Skandal.
Das war wie in der Zeitung: Kind und Kühlschrank waren getrennt keine Zeile wert, doch wenn das eine sich im anderen befand, lag ein Verbrechen vor. Kind und Knarre waren zusammen offenbar
ähnlich aufsehenerregend.
    Die Polizei hatte das Haus vor dem Zugriff weiträumig abgesperrt, die Bewohner des gesamten Ortes standen herum und glotzten. Annie hätte für diese Show Eintritt kassieren
können wie Opa damals bei den fliegenden Dosen.
    Zwei Beamte in Zivil hatten vorsichtig die Tür geöffnet, waren Annie nicht zu nah gekommen und hatten mit ihr gesprochen, wie man Blockflöte bläst, mit einem
geflüsterten »Dü dü« im Ton: Wie das Baby denn heiße, wo es herkomme und wie es ihm gehe und wie es ihr gehe und wie sie heiße und wo ihre Eltern seien und
weshalb es überall so stinke.
    Annie fühlte sich überrannt von den vielen Worten, so lange war nichts gesagt worden, und sie fühlte sich angegriffen, weil die Fremden meinten, es stinke bei ihr.
    Sollen sie doch daheimbleiben, dachte sie, wenn es ihnen nicht passt. Hatte sie etwa Zeit, hier zu putzen? Sie hatte absichtlich nicht gelüftet, damit der Junge sich nicht erkältete,
so war das, wer liebte frische Luft mehr als sie?! Aber vor Schreck sagte Annie erst einmal gar nichts, sondern betrachtete die Frau und den Mann genauer, die da in ihre Küche lugten, sie
hatte sie noch nie gesehen. Sie werden die Haustür aufgebrochen haben, dachte sie, vernünftig geklingelt haben sie nicht, und schon gar nicht gegrüßt.
    »Können wir das Baby mal halten? So ein süßes Ding.«
    »Wer sind Sie denn?«
    »Ich bin der Schorschi.«
    »Und ich die Ludmilla, von der Polizei sind wir.«
    »Polizei? Ist was passiert?«
    Annie hatte sich nichts vorzuwerfen. Sie zeigte ihren

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