Süße Fesseln der Liebe
nachdenken. »Unsere Arbeit kann nur unter äußerster Verschwiegenheit verrichtet werden, wie Sie sicher verstehen werden. Man ist die ganze Zeit vollkommen auf sich selbst gestellt. Niemand kann es sich leisten, etwas über unsere Arbeit zu erfahren, und diejenigen Männer und Frauen, die sie verrichten, legen den größten Wert darauf, dass tatsächlich kein Mensch etwas davon erfährt.«
»Für Sie scheint das allerdings nicht zu gelten, Colonel.«
Wieder glitzerte es in seinen grauen Augen, als er sie durchdringend musterte. »Frederick hat mir nicht viel von Ihnen erzählt, Aurelia. Vor allem hat er mir verschwiegen, dass Sie eine spitze Zunge haben.«
»Vermutlich wusste er es gar nicht.« Keine Sekunde wich sie seinem Blick aus. Es war, als würden sie einen Kampf mit dem Degen ausfechten, als wäre jeder Hieb und jeder Stich eine Angelegenheit auf Leben und Tod. »Denn in seiner Nähe gab es keinerlei Anlass, mit spitzer Zunge zu sprechen.«
Greville nickte zustimmend. »Ich nehme trotzdem an, dass er es geahnt hat.«
»Wie sollte er?«
»Er hat mir oft erklärt, dass tief in Ihnen viel mehr steckt, als an der Oberfläche erkennbar ist.«
Aurelia lächelte. »Verborgene Abgründe? Wie originell.«
Greville spürte, wie langsam die Wut in ihm hochkroch. »Wie schon gesagt, ich wusste nichts über Fredericks Schwester, außer der Tatsache, dass er eine Schwester hatte. Und ganz sicher hatte ich keine Ahnung, dass Sie so eng mit ihr befreundet sind.«
»Und das scheint Sie irgendwie zu berühren …« Sie gestikulierte, während sie nach den passenden Worten suchte. »Weil Sie irgendwelche Absichten hegen, wie ich vermuten darf? Oder was sonst auch immer hinter dieser Verfolgung stecken mag.«
Er stieß einen leisen Pfiff aus. »Verfolgung. Klingt ein bisschen übertrieben, finden Sie nicht?«
»Kaum. Erst stürmen Sie mit verheerenden Nachrichten auf mich ein, dann heften Sie sich mir an die Fersen, erschrecken mich zu Tode, verfolgen mich bis in das Wohnzimmer meiner Freunde und nisten sich zu guter Letzt zur unchristlichen Stunde in meinem Frühstückszimmer ein.« Sie zuckte die Schultern. »Können Sie mir verraten, wie ich Ihr Benehmen treffender beschreiben sollte, Colonel?«
»Ich wünschte, Sie würden mich beim Namen nennen. Schließlich plaudern wir recht vertraulich miteinander, sodass Formalitäten keine große Rolle spielen.«
»Ich bin der Meinung, dass Formalitäten stets die notwendige Distanz sichern, Colonel«, widersprach Aurelia, »und ich glaube gehört zu haben, dass es in Ihrem Beruf unvernünftig ist, persönliche Beziehungen zu entwickeln.«
»Touché, Ma'am«, gestand er trocken ein, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder dem Teller zuwandte und sich sorgsam ein Stück Schinken abschnitt.
Aurelia ließ es zu, dass sich das Schweigen ausbreitete. Zu ihrer Überraschung stellte sie fest, dass sie es sogar genoss. Denn sie war überzeugt, dass sie einen Moment lang die Oberhand gewonnen hatte, genau wie sie es am vergangenen Tag im Empfangszimmer der Bonhams geglaubt hatte. Nicht dass der Augenblick des Triumphs allzu lange gedauert hätte, ermahnte sie sich. Sie nippte an ihrem Kaffee, lehnte sich ein wenig in ihrem Stuhl zurück und ließ den Blick flüchtig über die Gazette schweifen, die neben ihrem Teller lag.
Amüsiert und zufrieden zugleich, beobachtete Greville sie verstohlen. Fredericks Witwe war eine außergewöhnliche Lady. Ihm war nicht verborgen geblieben, wie sehr sie das Wortgefecht genossen hatte, und er musste sich eingestehen, dass es ihm nicht anders ergangen war. Im Grunde genommen verfolgte er nur ein einziges Ziel, nämlich sie für seinen Auftrag zu gewinnen. Aber inzwischen machte er sich keine Illusionen mehr, welche Hindernisse er noch zu überwinden hatte.
Er legte Messer und Gabel beiseite, wischte sich den Mund an der Serviette ab und nahm noch einen Schluck Ale.
»Ich hoffe, Sie haben das Frühstück genossen, Sir«, bemerkte Aurelia und schaute von der Zeitung auf.
»Es war köstlich. Vielen Dank, Ma'am. Bitte richten Sie den Ladys in der Küche meinen herzlichen Dank aus … Ada, wenn ich mich recht erinnere.«
Sie nickte. »Ich werde nach Morecombe läuten, um Sie zur Tür zu begleiten.«
Greville lächelte über ihre schlagfertige Antwort. »Noch nicht, Ma'am. Ich muss noch mein Anliegen vorbringen, wie Sie es zu nennen pflegen.« Er legte die zerknüllte Serviette neben dem Teller ab. »Ich habe Ihnen viel zu sagen … Und ich hoffe,
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