Suesse Hoelle
Gewitter war schuld daran.«
Ihre Stimme wurde leise und ausdruckslos, als das Entsetzen sie wieder übermannte. Sie starrte vor sich hin, und Dane bereitete sich auf das Schlimmste vor. »Sie ist früher als erwartet nach Hause zurückgekommen. Sie ist betrunken. Sie stellt Kerzen auf die Kommode und zündet sie an. Duftkerzen in kleinen Glasständern. Sie stinken. Sie zieht sich aus und schlüpft in einen Morgenmantel. Nett von ihr, das erspart ihm viel Mühe. Sie geht ins Bad und wäscht sich das Gesicht. Als sie zurückkommt, wartet er auf sie.«
»Lieber Gott«, sagte Grace leise, als ihr das Grauen dessen, was Marlie durchlitt, klarwurde.
»Er tritt hinter sie, als sie sich bückt, um die stinkenden Kerzen auszublasen. Sie sieht ihn und dreht sich zu ihm um. Sie schreit nicht, das tun sie fast alle nicht. Er ist auch schon viel zu nahe, und das Messer sitzt schon an ihrer Kehle. Auch wenn sie betrunken ist, die dämliche Schlampe, so sieht er doch, dass sie begreift, was mit ihr geschieht. Gut so. Es hat doch keinen Zweck, sie zu bestrafen, wenn sie nicht verstehen, warum.« Marlie hielt inne.
»Er zwingt sie, den Morgenmantel auszuziehen«, sprach sie nach einer Weile weiter. »Sie ist viel zu dünn, er kann ihre Rippen sehen. Das gefällt ihm nicht. Sie schlottert. Sie wehrt sich nicht, als er ihr befiehlt, sich hinzulegen. Nicht auf das Bett - auf den Fußboden. Er zieht den Fußboden vor. Er ist ganz sanft mit ihr, doch sieht er in ihren Augen, dass sie weiß, wer er ist, sie kennt seine Macht. Das ist schön, aber es nimmt ihm den Augenblick der Überraschung.«
Marlies Stimme wurde noch leiser. »Hinterher hilft er ihr aufzustehen. Er küsst sie auf die Wange, streichelt ihr übers Haar. Dann zupft er daran, dass sie den Kopf zurücklegen muss und zu ihm aufsieht. Bitte, sagt sie, sie fleht schon. Kein Stolz. Sie haben nie irgendwelchen Stolz. Er lächelt sie an und beobachtet ihre Augen, als sie den ersten Stich des Messers fühlt. Dann lässt er sie los, und das Rennen kann beginnen.«
Trammell wandte sich ab und murmelte einen Fluch.
Marlie sah niemanden an, sie bemerkte sie gar nicht. »Sie läuft nicht. Sie sieht ihn nur an. Er sticht wieder zu. Er sagt: Lauf, Schlampe. Doch das tut sie nicht. Sie holt aus und schlägt ihm ins Gesicht. Und dann fällt sie über ihn her, schlägt, tritt und schreit ihn an. Er ist empört, so eine elende Langweilerin! Blöde Schlampe! Wenn sie es so haben will, dann wird er es ihr zeigen. Er hasst sie. Sie war dumm, sie hat ihm allen Spaß verdorben. Es sollte ein Rennen werden, wie das Preakness-Rennen. Maryland, o Maryland.« Marlie sang die letzten Worte.
»Sie liegt am Boden. Sein Arm ist müde. Sie stöhnt nicht einmal mehr, wenn er zusticht. Er richtet sich auf ...« Ihre Stimme begann plötzlich zu schwanken. Dane sah, wie sie zusammenzuckte, dann begann sie wieder zu zittern.
»Was ist?« fragte er leise.
Ihr Gesicht war wieder kreidebleich, ihre Augen weit aufgerissen. »Er hat in den Spiegel gesehen«, sagte sie. Als Dane sie nur verwirrt ansah, wiederholte sie die Worte. »Er hat in den Spiegel gesehen! Er hat sich selbst gesehen - und ich habe ihn gesehen!«
»Gütiger Himmel.« Dane sträubten sich die Haare, ein eisiger Schauder rann ihm über den Rücken. Trammell und Grace rührten sich nicht, gebannt schauten sie auf Marlie.
»Er ist völlig kahl«, flüsterte sie. »Er rasiert seinen Kopf. Er hat ein kantiges Kinn. Seine Augen sind ein wenig zu klein, ein wenig zu dicht beieinander.«
Dane konnte sich nicht mehr zurückhalten. Er sprang auf, sein kräftiger Körper war bereit. »Wir lassen einen Polizeizeichner kommen«, sagte er. »Er wird mit dir zusammenarbeiten, und dann alarmieren wir alle Fernsehstationen und alle Zeitungen der Region.« Es war ihre erste wirkliche Spur, und die Fahndung konnte beginnen. »Ruf Bonness an«, wandte er sich an Trammell. »Erzähl ihm alles, was passiert ist. Wir müssen auch die Frau finden, irgendwie. Marlie, wie sah sie aus ...« Er wandte sich zu ihr um und hielt dann mitten im Satz inne. Ihr Kopf war gegen die Rückenlehne der Couch gesunken, ihre Augen waren geschlossen, die Hände lagen bewegungslos in ihrem Schoß.
»Ach, Marliechen«, flüsterte er. Die Erschöpfung hatte sie niedergestreckt. Einen Augenblick lang war es ihm entfallen, welchen körperlichen Preis sie für ihre Visionen zahlte. Am liebsten hätte er sich selbst geohrfeigt. Sofort schob er alles andere beiseite, andere sollten
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