Süsse Küsse und unschickliche Geheimnisse
immerhin schon einmal versucht. Eine Woche lang verbrachte er mit Ellerton und Hillgrove beim Angeln und Jagen, und kein einziger Tag hatte ihm besondere Freude bereitet. Wo er auch hinsah, war Miss Fairchilds Bild vor seinem inneren Auge erschienen. Sie drang sogar in seine Träume ein. Der Kuss, den er ihr gerade gegeben hatte, verblasste im Vergleich zu denen, die er ihr in der Nacht schenkte, wenn sie ihm in seinen Träumen erschien.
Dann durfte er sie Anna nennen. Er brauchte weder höflich noch distanziert zu sein, und wenn er sie liebte und ihr eine Leidenschaft zeigte, die sie noch nicht erlebt hatte, rief sie seinen Namen, nicht seinen Titel. Er rührte sich unbehaglich in seinem Sitz und versuchte, die Reaktion seines Körpers zu unterdrücken.
„Verzeihen Sie, Mr. Archer. Sagten Sie etwas?“, fragte sie gerade leise. Er musste gesprochen haben, ohne sich dessen bewusst zu sein.
„Nein, Miss Fairchild. Habe ich Ihren Genuss an der Vorstellung gestört?“
Sie seufzte, und dieses leise Geräusch verschlimmerte Davids heiklen Zustand sogar noch. „Nein, Mr. Archer. Ich genieße diesen Abend ungemein.“
Der Blick, den sie ihm dabei zuwarf, gab ihm die Hoffnung, dass sie genauso sehr von dem zärtlichen Intermezzo berührt worden war wie er. David musste schlucken, denn sein Mund fühlte sich noch trockener an als zuvor. Jetzt brauchte er entschieden etwas sehr, sehr viel Stärkeres als Limonade. Miss Fairchild griff nach dem Fächer und fächelte sich Luft zu. Konnte sie sich überhaupt eine Vorstellung davon machen, wie sehr auch er in diesem Moment diesen zierlichen kleinen Firlefanz brauchte?
David bezwang sein Verlangen und versuchte, seine Aufmerksamkeit ganz auf das Geschehen auf der Bühne zu lenken und nicht auf die junge Frau an seiner Seite. Nur noch wenige Tage, bis dieser Goodfellow seinen nächsten Artikel einreichte, dann würde er abreisen. Er beabsichtigte, Nate ein wenig unter Druck zu setzen, falls nötig, um einen Blick auf den neuen Artikel zu werfen, bevor er nach London zurückkehrte und sich an seine Antwort setzte.
Gerade als er kurz den Blick durch das Theater schweifen ließ, glaubte er ein vertrautes Gesicht im Publikum zu entdecken. Bei der schwachen Beleuchtung konnte er jedoch nicht sicher sein, dass es wirklich der Mann war, aber er durfte nicht das Risiko eingehen, erkannt zu werden, bevor er seine Aufgabe erfüllt hatte. Er beugte sich vor und sagte leise zu Lady MacLerie: „Sind Sie mit der Kutsche gekommen, oder holt Nathaniel Sie ab?“
„Wir sind mit der Kutsche hier, Mr. Archer“, erwiderte sie und warf Miss Fairchild unwillkürlich einen Blick zu. „Gibt es denn ein Problem?“
„Keineswegs, Lady MacLerie. Ich habe mich nur gerade an eine Verabredung erinnert, die ich leider nicht verschieben kann, obwohl ich sehr viel lieber geblieben wäre. Wenn Sie sicher sind, dass Sie meine Begleitung nicht brauchen, werde ich mich jetzt von Ihnen verabschieden. Ich danke Ihnen nochmals von ganzem Herzen für Ihre Einladung.“ Als es sich nicht länger hinauszögern ließ, wandte er sich an Miss Fairchild, um ihr sein Bedauern auszusprechen, doch sie kam ihm zuvor.
„Mr. Archer, es war sehr gütig von Ihnen, sich uns trotz der kurzfristigen Einladung anzuschließen.“
Immer noch trug sie dieselbe unergründliche Miene zur Schau wie schon den ganzen Abend seit dem Kuss. David wünschte, er wüsste, was sie dachte, was sie bei seinem Kuss gefühlt hatte. „Miss Fairchild, es war mir wie immer ein Vergnügen.“
Mit einer hastigen Verbeugung verließ er die Loge und nahm die Treppe, die zum Hinterausgang führte.
Zwar war er seinem Ziel, Mr. Goodfellow zu finden, keinen Schritt näher gekommen, doch David wusste mit absoluter Gewissheit, dass ihm große Schwierigkeiten unmittelbar bevorstanden.
„Anna“, flüsterte Clarinda. „Komm, und setz dich jetzt zu mir.“
Anna stand auf und nahm neben Clarinda Platz. „Kein allzu aufregendes Stück, was?“ Sie warf einen Seitenblick auf Tante Euphemia, die sich einem kleinen Nickerchen hingab.
Clarinda berührte ihre Wange, die immer noch heiß war, das spürte Anna, und sie bezweifelte, dass sie sich je wieder abkühlen würde. Jeder neuerliche Gedanke an Mr. Archer und seinen Kuss brachte ihre Gefühle in Aufruhr. Die glühenden Wangen verrieten nur ihren inneren Zustand.
„Er hat dich geküsst“, sagte Clarinda leise.
Anna konnte es nicht leugnen. „Bitte, Clarinda. Es gibt keinen Grund, es zum
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