Süsse Küsse und unschickliche Geheimnisse
Fähigkeit dieses Mannes ausdrücken, seinen Mund zu halten.
Was nun? Seine Beute entzog sich ihm, und es blieben ihm immer weniger Mittel, sie aufzuspüren. Dann kam ihm ein Gedanke. Nates Schwester Lady MacLerie würde es wissen. Ob sie allerdings bereit wäre, dieses Wissen mit ihm zu teilen, war eine andere Frage. Trotzdem wollte er es versuchen.
Auf der kurzen Fahrt zu Nates Haus erkannte David, dass die Gründe für seine Suche nach Anna sich verändert hatten. Zuerst hatte er sich nur vergewissern wollen, dass alles in Ordnung mit ihr war, doch jetzt wurde ihm seine wahre Absicht bewusst. Er musste herausfinden, ob der Kuss Anna genauso aufgewühlt hatte wie ihn. Tage waren vergangen seit dem Kuss, und dennoch erinnerte David sich noch genau an das Gefühl ihrer süßen Lippen auf seinen.
Sie zu küssen war nicht klug gewesen, und ganz gewiss war es auch unvernünftig, Zeit mit ihr zu verbringen. Selbst nur an sie zu denken war gefährlich, und doch hatte er jetzt nichts Besseres zu tun, als in ganz Edinburgh nach ihr zu suchen.
Die Kutsche hielt vor Nates Haus, und er stieg aus. Derselbe Diener wie neulich Abend öffnete ihm. „Empfängt Lady MacLerie Gäste?“
„Ich werde fragen, Sir.“
Offenbar erinnerte er sich noch an seinen ersten Besuch, denn er fragte ihn nicht nach seinem Namen. David sah ihn die Treppe zum Obergeschoss hinaufsteigen und wartete. Ein Ausruf aus dem Salon verriet ihm, dass Miss Julia hier war. Anna also auch?
Der Diener kehrte zurück, nahm David Hut und Handschuhe ab und führte ihn in den Salon, wo er ihn ankündigte.
Höflich verbeugte er sich vor den Damen. „Lady MacLerie, Miss Erskine, Miss Julia. Es ist mir ein Vergnügen, Sie wiederzusehen.“ Er sah sich verstohlen um, doch Anna konnte er nicht ausmachen.
„Mr. Archer. Wie freundlich von Ihnen, uns zu besuchen. Hätten Sie gern ein wenig Tee?“, begrüßte ihn Lady MacLerie und wies auf einen Sessel.
„Ich hoffte, Miss Fairchild hier anzutreffen. Ist sie hier?“
„Sie ist in der Schule“, sagte Julia.
Lady MacLerie bedachte ihn mit einem durchdringenden Blick. „Anna ist nicht hier, wie Sie sehen können.“
„Ich wollte mich entschuldigen“, fuhr er fort. „Für den Abend im Theater.“
„Ach? Haben Sie denn etwas getan, das eine Entschuldigung erfordert?“
Ihr Ton und die leicht gehobenen Augenbrauen ließen ihn vermuten, dass Lady MacLerie genau wusste, was zwischen ihm und ihrer Freundin vorgefallen war.
„Immerhin ließ ich Sie allein im Theater zurück, Mylady. Was könnte ich sonst getan haben?“, fragte er, wohl wissend, dass sie vor Annas Tante und Schwester nichts sagen konnte. Er wich ihrem Blick nicht aus. „Nachdem ich Ihre freundliche Einladung angenommen hatte, hätte ich bleiben und mich vergewissern müssen, dass sich jemand um Sie kümmert.“
„Lord MacLerie schickte uns seine Kutsche, aber Anna schlug vor, zu Fuß nach Hause zu gehen“, warf Miss Erskine ein, und ihr Ton ließ keinen Zweifel daran, was sie von diesem Vorschlag gehalten hatte.
„Mr. Archer?“, unterbrach Julia sie, ohne sich um den tadelnden Blick ihrer Tante zu kümmern. „Haben Sie seit unserem Besuch im Schloss andere Sehenswürdigkeiten in Edinburgh besucht?“
„Ich fürchte, meine Geschäfte nehmen mich dafür zu sehr in Anspruch, Miss Julia. Und was hätte sich mit unserer Besichtigung der Kronjuwelen messen können?“
„Die Bibliothek der Anwaltsvereinigung Seiner Majestät am Parliament Square ist einen Besuch wert, Mr. Archer. Selbstverständlich müssen Sie eins ihrer Mitglieder kennen, um sich Zutritt verschaffen zu können.“
Er musste lachen. Dass ein Mädchen ihres zarten Alters ihm einen solchen Ort vorschlagen würde, musste außergewöhnlich erscheinen. Andererseits war sie natürlich Annas Schwester, und allmählich erkannte er, dass in ihrer Familie das Außergewöhnliche alltäglich war.
„Ich werde Ihre Empfehlung in Erwägung ziehen, Miss Julia.“
„Julia!“, rief Miss Erskine. „Es gibt wichtigere Dinge zu sehen in Edinburgh als eine Bibliothek für Advokaten. Verzeihen Sie ihr bitte, Mr. Archer. Die Erziehung meiner Nichte ist leider ein wenig unkonventionell.“
„Machen Sie sich keine Gedanken, Madam. Ich bin davon überzeugt, dass Miss Julia genauso viel Zeit auf ihre Nadelarbeit und Aquarellmalerei verwendet wie auf das Studium gelehrter Bücher.“
Miss Erskine gab einen skeptischen Seufzer von sich, und er unterdrückte ein Lachen und zwinkerte Annas
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