Süsse Küsse und unschickliche Geheimnisse
bevor, jetzt, da der Artikel erschienen ist.“
Anna hob nur leicht das Kinn und stützte die Hände auf die Hüften. Das bedeutete nichts Gutes – weder für ihn noch für Treybourne.
„Wem außer Robert hast du Mr. Archers wahre Identität verraten?“, fragte sie mit gespielter Gelassenheit. „Clarinda?“
„Ich habe es weder Robert noch Clarinda verraten.“
„Oh. Dann kannte Robert ihn wohl auch von früher. Mir war so, als hätten sie verdächtige Blicke getauscht, bevor sie sich vor dem Haus unterhielten.“
Nathaniel musste trotz seiner Besorgnis lachen. Anna ließ sich nicht davon abhalten, recht unangemessene Dinge zu tun, obwohl sie gleichzeitig eine vollendete Dame sein wollte und ihrer Schwester die allerbesten Manieren beibrachte. Das Lauschen an Türen und in seltenen Fällen ein Hang zum Fluchen waren ihre zwei größten Fehler und selbst im etwas zwanglosen Edinburgh unakzeptabel.
„Du warst also nicht in der besten Position, um jede Einzelheit hören zu können?“ Nathaniel versuchte, streng zu schauen, versagte aber kläglich.
„Der Lärm der Kutschen auf der Straße übertönte den größten Teil ihrer Unterhaltung“, erwiderte Anna trocken. „Und ich konnte nicht dicht genug heran, weil sich der Diener eine ganze Weile nicht vom Fleck rührte.“
Beide brachen in Gelächter aus, und Nathaniel stellte erleichtert fest, dass trotz gelegentlicher Uneinigkeiten immer ein gemeinsames Band zwischen ihnen bestehen würde. Sie kannten die Schwächen, Stärken und Geheimnisse des anderen und hegten trotzdem größte Zuneigung füreinander.
„Du wirst vielleicht meinen Plan weniger amüsant finden als meine Unzulänglichkeiten, lieber Freund“, warnte sie ihn. „Ich will seine Anwesenheit hier dazu benutzen, Informationen aus ihm herauszubekommen. So wie er es bei uns versucht hat.“
„Anna. Bitte lass von diesem Plan ab. Tu nichts, das unsere Tätigkeiten in Gefahr bringen könnte. Und die Ziele der Tories sind uns doch kein Geheimnis.“
„Ich kann nicht, Nathaniel. Wenn ich ein Mann wäre, hätte ich ihn schon längst gefordert für sein unehrenhaftes Verhalten. Uns Frauen steht eine solche Lösung leider nicht zur Verfügung. So wie er dich benutzen wollte, um Goodfellow zu finden, beabsichtige ich jetzt, den Spieß umzudrehen.“
„Anna …“, sagte er mit einem Stöhnen. „Du solltest im Gegenteil versuchen, ihm so sehr wie möglich aus dem Weg zu gehen.“
„Es kann unseren Zwecken und Goodfellows späterer Argumentation nur von Nutzen sein, Genaueres über Lord Treybourne und die Absichten seiner Partei herauszufinden. Das siehst du doch wohl ein, Nathaniel.“
„Ich mache mir Sorgen um dich, Anna. Du wirst nur wieder verletzt werden“, wandte er bedrückt ein.
„Das brauchst du nicht. Ich habe nicht vor, ihn dazu zu ermutigen, länger hier zu verweilen, aber ich werde alles herausbekommen, das uns in unserem Kampf von Vorteil sein könnte. Und ich erwarte von dir, dass du verschwiegen bist. Wie ein Grab. Lord Treybourne muss ja noch annehmen, dass ich ihn für seinen nicht allzu bescheidenen Angestellten halte.“
Ihre Direktheit und völlige Unfähigkeit, sich zu verstellen, befremdeten ihn ein wenig. Insgeheim musste er zugeben, dass er sich diese Leidenschaft und Hingabe in seinem Bett wünschte, aber er war nicht sicher, ob er eine solche Frau wirklich heiraten wollte. Es spielte keine Rolle, wie viele Jahre er sie schon kannte, es gelang ihm einfach nicht, Annas Handlungen zu kontrollieren, wenn ihr Wille gegen seinen stand. Sie glaubte, ihm in jeder Hinsicht gleichgestellt zu sein, und meist war sie es ja auch, aber er wünschte sich eine Gattin, die er lenken konnte – eine Ehe, wie sie sein sollte.
Diese plötzliche Erkenntnis erleichterte ihn ein wenig, und er musste lachen. Er zog sie zu sich herab auf das Sofa und küsste ihre Hand.
„Ich werde dich immer lieben, Anna, und das weißt du auch. Du sollst ebenfalls wissen, dass ich immer für dich da sein werde, wenn du mich brauchst.“ Er sah, wie ihre Augen sich mit Tränen füllten. „Aber ich muss sagen, ich bedaure Trey, jetzt, da du ihn ins Visier genommen hast. Der arme Mann hat keine Ahnung, was ihn erwartet.“
„Der ‚arme Mann‘. Dass ich nicht lache.“ Sie rieb sich die Augen, stand auf und lächelte ihn an.
Nathaniel verabschiedete sich von ihr, glücklich, dass sie wieder Freunde waren – und überzeugt davon, dass Trey keine Chance gegen Anna haben würde.
Drei Tage nach
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