Süsse Küsse und unschickliche Geheimnisse
Street. Genaueres wusste Molly nicht.“
Teufel noch mal, würde er sie bei so ungenauen Anweisungen überhaupt finden können? Aber er musste eben, so einfach war das. Er öffnete die Haustür und wurde fast vom starken Wind umgeworfen. Im letzten Moment drückte die Haushälterin ihm noch etwas in die Hand, kurz bevor die Tür zuknallte.
Ein schneller Blick verriet ihm, dass es einer der langen Mäntel aus Segeltuch war, die viele Menschen hier trugen, um sich vor den häufigen Regenfällen zu schützen. Der nächste plötzliche Windstoß reichte, um David davon zu überzeugen, dass er den Mantel dringend brauchte, und so schlüpfte er hastig hinein und knöpfte ihn vorne zu.
Mit dem Arm schützte er die Augen vor dem heftigen Regen und lief die High Street hinunter auf den Holyrood Palace zu, bis er die Canongate Kirche zu seiner Linken fand. Danach zählte er drei Straßen ab und suchte nach dem Straßenschild, bis er schließlich Lochlend Close fand. Er bog ab, taumelnd im stürmischen Wind, und sah sich suchend um.
Die Gassen in Edinburgh endeten normalerweise in einer Sackgasse, doch dieses Sträßchen schien ziemlich lang und am anderen Ende offen zu sein. Große Steingebäude ragten fast drohend in die Höhe. Obwohl einige der vornehmsten Adressen in Edinburgh sich in solchen engen Gassen in der Nähe der High Street befanden, war dies eine der bescheideneren. Die Häuser und übrigen Gebäude befanden sich in baufälligem Zustand. Viele Anwohner, zumindest diejenigen, die es sich leisten konnten, waren in die New Town gezogen, um dem Verfall zu entkommen, der hier eingesetzt hatte.
David blickte sich suchend um, aber niemand außer ihm schien sich in dieses Unwetter hinausgewagt zu haben. Er konnte kaum von Tür zu Tür gehen, also tat er das Nächstbeste.
„Anna!“, schrie er mit aller Macht und einige Schritte weiter wieder: „Anna!“
Blitze zuckten über den Himmel, wieder und wieder, als wollten sie ihn entzweireißen, und verwandelten für einige Augenblicke den dunklen Tag in einen der hellsten, die er je erlebt hatte. Und plötzlich schien ein Blitz eingeschlagen zu haben, denn irgendwo ganz in seiner Nähe hörte man ein Krachen. Lieber Gott! Ich muss sie unbedingt finden .
Annas Namen rufend, kämpfte er sich von einem Gebäude zum nächsten, und gerade da er zu fürchten begann, dass er am falschen Ort suchte, entdeckte er sie in einiger Entfernung, wo sie sich an ein dreistöckiges Haus lehnte. War sie verletzt? Hörte sie ihn nicht?
„Anna! Bleib da!“, rief er.
Er war nur ein Gebäude von ihr entfernt, als wieder der Blitz einschlug. Oh Himmel – ausgerechnet in das Dach des Hauses, an dem Anna stand. Der Giebel zerbröckelte in viele Teile, und voller Entsetzen wurde David klar, dass die herunterfallenden Steinbrocken ganz in Annas Nähe aufschlagen würden.
Mit einer Geschwindigkeit, die er nicht für möglich gehalten hätte, raste er zu ihr, packte sie und zerrte sie zur Seite. Die Trümmer landeten nur wenige Augenblicke später und wenige Meter von ihnen entfernt. Atemlos drückte er Anna gegen die Steinwand des Hauses, bis er sicher sein konnte, dass nichts mehr herunterkam. Als er sie zu sich herumdrehte, hatte sie die Augen ängstlich aufgerissen, das nasse Haar klebte an ihren Wangen, und sie klammerte sich, von Panik erfasst, an ihn.
„Hoffentlich sind Sie nicht verletzt“, rief er. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, noch immer stand der Anblick der fallenden Steine vor seinem inneren Auge.
„Nein, nur erschrocken“, antwortete sie.
Einen Moment kämpfte er dagegen an, doch dann war die Versuchung zu groß für ihn. David küsste sie mit einer Leidenschaft, die er viel zu lange unterdrückt hatte. Zuerst schmiegte Anna sich nur an ihn, erwiderte dann aber seinen Kuss, und ihre Zungen berührten sich. Sie versanken selbstvergessen in diesem Kuss, bis ein weiterer Blitz sie aus dem traumartigen Moment riss.
Das Gewitter schien seine Kraft noch zu verdoppeln. Mit ungeahnter Heftigkeit prasselte der Regen auf sie ein. Anna zitterte am ganzen Leib. Besorgt blickte David nach oben und sah sich dann nach einer Zuflucht in ihrer Nähe um. Die Blitze hatten nicht nachgelassen, also hielt er es für unklug, den ganzen Weg bis zur Schule zurückzulaufen. Der einzige Ort, der ihnen in diesem Moment etwas Schutz bieten konnte, war an der Seite des Gebäudes, fort von den scharfen Windstößen und dem strömenden Regen. Dort angekommen, gab er Anna ein wenig Raum und
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