Süsse Küsse und unschickliche Geheimnisse
trauern, das sie mit ihm hätte teilen können.
„Ach, welch verworrnes Netz wir weben, wo wir das erste Mal zu täuschen streben …“, zitierte Anna Sir Walter Scott und war dabei so tief in Gedanken versunken, dass sie nicht bemerkte, wie Clarinda leise den Raum verließ.
20. KAPITEL
November 1818, Lansdale Park, England
Sein Magen zog sich vor Aufregung zusammen, als die Kutsche vor dem Familiensitz hielt. David sammelte die Dokumente ein und verstaute sie in einer Ledermappe. Es hatte fast drei Monate gedauert, doch nun war er so weit. Mehrere Diener liefen herbei, um ihn zu empfangen. Die Kutscher hatten Anweisungen erhalten, auf ihn zu warten. Ein letztes Nicken zu den übrigen Insassen des Wagens, und er stieg aus.
Zügigen Schrittes ging er den makellos gepflegten Weg zum Marmoreingang hinauf und hielt nur kurz inne, als das imposante Portal zum Herrenhaus sich vor ihm öffnete. Der Butler, einer der wenigen Diener, die er wiedererkannte, grüßte ihn und führte ihn in den Blauen Salon, wo Lord und Lady Dursby sich aufhielten.
„Treybourne“, sagte seine Mutter, die am Schreibtisch Platz genommen hatte. David ging zu ihr, verbeugte sich, wie es von ihm erwartet wurde, und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange.
„Mutter. Du siehst gut aus. Die Landluft scheint dir zu bekommen.“ Allerdings war es nur sein Versuch, höflich zu sein. Seine Mutter ließ alle Anzeichen einer Frau erkennen, die seit vier Jahren um den Tod ihrer Tochter trauerte.
Dann verbeugte er sich knapp vor seinem Vater. „Sir.“
„Du siehst aus wie ein Landpfarrer, Treybourne. Warum bist du nicht angemessen gekleidet?“
„Ich habe noch eine Reise vor mir, Sir. Und dafür bin ich angemessen gekleidet.“
„Reise? Du musst dich auf die nächsten Sitzungen vorbereiten. Die Minister kommen schon heute Nachmittag …“
„Ich werde bereits fort sein, Sir.“
„Treybourne?“ Seine Mutter erhob sich und kam auf ihn zu. „Wohin willst du reisen?“
„Nach Schottland, Mutter.“
„Schottland?“, wiederholte der Marquess. „Ich habe dich nicht angewiesen, nach Schottland zu reisen.“
David legte die Ledermappe auf den Schreibtisch und öffnete sie. „Ich gab mir im vergangenen Jahr alle Mühe, unsere Vereinbarung einzuhalten, Sir. Doch die letzten Monate haben mir gezeigt, dass es ein Fehler war, darauf einzugehen.“ Er reichte seinem Vater einige Dokumente und wartete, bis der sie sich angesehen hatte.
„Sie haben mich schon wiederholt darauf hingewiesen, Sir, dass Mr. Goodfellow mich in den letzten sechs Ausgaben übertrumpft hat. Kein einziges Mal trug ich bei unserem schriftlichen Schlagabtausch den Sieg davon. Und nun bin ich nicht mehr bereit, diesen Mann wie einen Feind zu behandeln.“
„Treybourne, ich werde dir die Mittel streichen …“
„Ich habe mit dem Unterstaatssekretär gesprochen, der mir zustimmt, dass meine Wirksamkeit als Parteisprecher erheblich nachgelassen hat. Er war bereit, eine Alternative in Betracht zu ziehen, und mein Vorschlag, Lord Cunningham für den Posten heranzuziehen, wurde angenommen.“
„Du hast mit dem Unterstaatssekretär gesprochen?“, rief sein Vater verblüfft, ein Zustand, den David nur sehr selten bei ihm erlebte.
„Ich habe ihm außerdem die Entwürfe für zwei weitere Artikel gegeben, die Cunningham benutzen kann, damit der Übergang so fließend wie möglich erfolgt.“
„Ich erlaube es nicht“, polterte sein Vater.
„Es ist schon geschehen, Sir. An meinem Geburtstag erhalte ich die Kontrolle über das Erbe von meinem Großvater und werde Ihr Geld nicht mehr brauchen. In den letzten zwei Monaten habe ich alles in die Wege geleitet, um bis zu dem Tag auch ohne einen einzigen Penny von Ihnen zurechtzukommen.“
„Was? Das kannst du dir nicht überlegt haben!“ Der Marquess schüttelte den Kopf. „Warum das alles?“
„Weil mir alles, was Sie unterstützen, unendlich zuwider ist, Sir.“
„Das ist nichts Neues“, erwiderte sein Vater ungerührt. „Was ist geschehen, dass du es vorziehst, größte Unannehmlichkeiten auf dich zu nehmen, statt so weiterzumachen wie bisher?“
„Ich habe etwas entdeckt, nach dem mein Herz mehr verlangt. Einen Menschen, nach dem mein Herz verlangt.“
„Eine Frau? Dann ist es also diese mittellose schottische Schl…“
„Dursby!“, unterbrach seine Frau ihn entrüstet.
„Lass mich dir sagen, was dein teurer Sohn getan hat, Elizabeth. Treybourne ging nach Schottland, um diesen Mann zu finden, der
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