Süsse Küsse und unschickliche Geheimnisse
wurden.
Und er musste auch erfahren haben, was sie selbst als junge Frau hatte erleiden müssen.
Und so führe ich seit einigen Jahren und mit eigenen Mitteln zwei Waisenhäuser und eine Armenschule. Die Kosten für diese Häuser sind stetig gestiegen, da immer mehr Menschen geholfen werden musste.
Das hat mich dazu verleitet, einen Handel mit meinem Vater einzugehen, der von mir verlangte, gewisse öffentliche Funktionen wahrzunehmen, die seinen politischen Zielen dienen sollten. Als Gegenleistung erhielt ich jährlich eine große Summe Geldes, die mir erlaubte, meine Wohltätigkeitsarbeit fortzusetzen. Nur musste ich dafür sorgen, dass mein Vater niemals von dieser Arbeit erfuhr, sonst würde er mir sofort die Mittel sperren. Er vertritt die Meinung, jeder sei seines Glückes Schmied und er selbst somit nicht verantwortlich für das Elend der Armen.
Kürzlich wurde mir von meinem Vater angedroht, dass er die Zahlungen an mich einstellen würde, wenn ich diesem Goodfellow nicht den Mund stopfte. Also versuchte ich, mehr über meinen Gegner herauszufinden, der in seinen Artikeln allerdings so sehr meine wirkliche Meinung vertrat, dass ich zu einem Einvernehmen mit ihm kommen wollte. Unsere Debatten in den Zeitschriften brachten die wahren Probleme unseres Landes zum Vorschein, und das wollte ich nicht aufgeben.
Anna hielt unwillkürlich den Atem an, während sie las. Jedes Wort, jeder Satz, brachte neue Enthüllungen über den Mann, den sie zu kennen geglaubt hatte. Aus genau entgegengesetzten Gründen besaßen sie die gleiche Einstellung und verfolgten sie die gleichen Ziele – jenen Menschen zu helfen, die außer ihnen keine Stütze in der Welt hatten.
Das Übrige wissen Sie bereits. Ich erschien in Edinburgh und fand anstelle von Mr. Goodfellow eine gewisse Miss Fairchild. Und trotz meiner Bemühungen, ihr aus dem Weg zu gehen und sie irrezuführen, wurde sie schließlich der Grund für mein Bleiben, obwohl man mich in London schon seit einer Weile dringend benötigte. Wie niemand sonst, den ich kannte, setzte sie sich mit aller Kraft für die Ideale ein, die auch mir so viel bedeuteten. Obwohl sie als Frau in unserer Gesellschaft ständig auf scharfe Kritik trifft, hat sie sich ihr Verhalten niemals diktieren lassen.
Tränen liefen Anna über die Wangen, und sie wischte sie hastig fort, damit sie nicht auf den Brief fielen. Es rührte sie tief, seine Gedanken über sie zu lesen.
Da Ihre wichtige Arbeit durch mich und meinen Vater in Gefahr geraten könnte, habe ich Schritte unternommen, um Ihre finanzielle Sicherheit zu gewährleisten. Lord MacLerie war so freundlich, alles in die Wege zu leiten, und die Besitzurkunde für das Grundstück und Gebäude der Schule wird sich bald in Ihren Händen befinden.
Ich werde das Abkommen mit meinem Vater fortführen, wie versprochen, bis ich auf andere Weise an die Mittel kommen kann, die ich für meine Arbeit brauche. Bitte warnen Sie Mr. Goodfellow, dass ich von jetzt an kein so leichtes Opfer mehr sein kann.
Es gibt noch so viel, das ich Ihnen sagen möchte, aber es bleibt mir nur, Ihnen alles Gute für Ihre Schule und Ihr Leben zu wünschen.
Anna sah seine Unterschrift am Ende des Schreibens, und die Tränen flossen noch heftiger. Dort stand „Ihr Diener“ und dahinter „Treybourne“, das er allerdings durchgestrichen und durch „David“ ersetzt hatte.
Sie schob die Papiere beiseite, legte den Kopf auf die Arme und weinte. Wie viel Zeit vergangen war, wusste sie nicht, als sie aufsah und Clarinda neben ihr stand, den Brief in der Hand.
„Hast du es gelesen?“ Anna brauchte nicht wirklich eine Antwort, da Clarindas tränenfeuchte Augen alles sagten.
„Jedes Wort.“ Sie wischte sich mit einem Taschentuch über die Augen und putzte sich die Nase. „Was hältst du davon? Sagt es dir alles, was du wissen wolltest?“
„Ja.“ Sie nahm Clarindas Hand, als suche sie Halt. „Er hat mir jede Sorge um die Zukunft genommen. Er hat mir seine Handlungen erklärt. Unsere Debatte kann weitergehen wie bisher, und alles, was mir wichtig ist, ist in Sicherheit.“ Sie ließ Clarinda los und steckte die Blätter wieder in den Umschlag. „Alles ist geregelt.“
Sie klang so, als glaube sie ihren Worten selbst nicht und als wolle sie sich selbst davon überzeugen. Es würde noch viel Zeit vergehen, bevor sie sich wieder mit einem Leben ohne David abfinden konnte. Mit jedem Atemzug, den sie tat, würde sie den Mann vermissen, den sie liebte, und um das Leben
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