Sueße Prophezeiung
dachte, er sollte es tun. Aus Pflicht. Aus Ehre. Wegen der Legende.
»Der einzige Mensch, der mich glücklich machen könnte, bin ich selbst«, sagte sie schließlich, ohne ihn damit verletzen zu wollen. Ein Hauch von Trauer schwang in ihrer Stimme mit.
Marcus blickte sie forschend an, dann senkte er leicht den Kopf.
»Lass es mich doch wenigstens versuchen«, meinte er schlicht. »Verlange ich denn zu viel? Dass ich dich glücklich machen möchte?«
Ihr brach das Herz. Der Schmerz kam in zehnfacher Stärke zurück. Er konnte sie nicht lieben. Nicht so, wie sie es im tiefsten Innern ihres Herzens ersehnte. Sie erinnerte sich an jene reine Freude ...
Er schaute wieder auf. »Ich würde alles tun, um allein eine Chance zu bekommen«, verkündete er grimmig.
Ihre Hände bedeckten ihren Mund, wie jenes andere Mädchen es getan hatte. Doch damit wollte sie den Schmerz zurückhalten, nicht das Lachen. Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen, konnte nicht mehr länger so neben ihm sitzen. Deshalb glitt sie aus dem Bett und lief zu ihrem Kleiderhaufen auf dem Boden.
Sein Blick folgte ihr. Er sagte nichts, tat nichts.
Als sie sich fertig angezogen hatte – sie hatte es nicht geschafft, alle Knöpfe zu schließen und die meisten waren ohnehin abgerissen –, schaute sie sich nach ihrem Tartan um. Nach erfolgreicher Suche legte sie ihn sich wie einen Umhang um die Schultern, um sich vor der Kälte zu schützen.
Sie sah in Richtung eines der Fenster, als die Sonne gerade hinter einigen Wolken hervortrat und sie blendete.
Draußen präsentierte sich eine Welt, die sie nicht wiedererkannte. Blendend weißer Winter war eingekehrt. In der Nacht hatte es, während sie schliefen, geschneit – von Nebel war keine Spur mehr. Es schien, als hätte der Abschiedsgruß des Nebels in einer letzten Berührung alles in Weiß verwandelt. Von den Seen bis zu den Gipfeln der Berge, von den Dachvorsprüngen bis hin zu den Fenstersimsen wurde alles von glitzerndem Schnee bedeckt.
Avalon drehte sich um. Schweigend stand er hinter ihr. Er hatte seinen Tartan lässig um sich geschlungen, ohne sich die Mühe zu machen, auch die Tunika anzuziehen. Sein Blick ruhte nicht mehr auf ihr, sondern auf der prächtig glitzernden Landschaft.
Die Helligkeit ließ nun alles deutlich hervortreten. Sie erkannte die einzelnen Fasern im Gewebe seines Tartans, konnte alle Regenbogenfarben in seinem Haar ausmachen. Sie sah die verblassten Narben an seiner Seite, wo sein Tartan lässiger als gewöhnlich herunterhing, und auf seinem Rücken, der gar nicht bedeckt war.
Er hatte nicht wenige unterschiedliche, kaum erkennbare Narben, die sich nur durch ihre Blässe von seiner gebräunten Haut abhoben.
Sie streckte, ohne darüber nachzudenken, ihre Hand nach ihnen aus und zeichnete eine mit ihrem Finger nach. Der alten Verletzung folgte sie nach unten, wo sie in den Falten des Tartan verschwand. Sein Atem beschleunigte sich ein wenig, um sich dann wieder zu beruhigen. Er wandte seinen Blick nicht in ihre Richtung.
Ihre flache Hand tastete unter dem Stoff nach weiteren Narben, die sie auch fand. Es waren lange, dünne Linien schräg über seinem Rücken – die wohl von Peitschenhieben herrührten.
Lebhaft erinnerte sie sich wieder des Traums und zog ihre Hand zurück, um nach seinem Handgelenk zu greifen. Sie hielt es ins Licht und untersuchte es.
Die Spuren waren zu sehen. Wie die anderen Narben waren auch diese fast verschwunden und so verblasst, dass sie kaum noch auffielen. Aber sie erinnerte sich daran, wie es gewesen war, so an den Tisch gefesselt zu sein, während sich die rauen Stränge ins Fleisch fraßen.
Avalon beugte den Kopf und hob sein Handgelenk an ihre Lippen, um einen Kuss darauf zu drücken. Sie wäre nicht in der Lage gewesen zu sagen, warum sie das tat; doch diese Geste schien ihr unbedingt notwendig.
»Ich will dein Mitleid nicht«, schnaubte er und zog seine Hand zurück, während er immer noch nach draußen blickte.
»Es ist kein Mitleid, das ich empfinde«, sagte sie.
Marcus’ Lippen umspielte ein schmerzerfülltes Lächeln, während er die schneebedeckte Landschaft fixierte. »Und, wirst du mich jetzt heiraten, Avalon d’Farouche? Wirst du den von Narben gezeichneten Mann heiraten, weil es dein Herz so jammert – wenn schon aus keinem anderen Grund?« Er gab ihr nicht die Gelegenheit, erneut zu widersprechen. »Nun, ich würde es auch zulassen, dass du mich aus unerwünschten Gründen nimmst.« Er stieß ein bitteres Lachen
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