Sueße Prophezeiung
aus. »Und es kümmert mich nicht einmal.«
»Ich bemitleide dich nicht«, widersprach sie. »Aus diesem Grunde würde ich nicht einwilligen.«
Endlich schaute Marcus sie an. Die gerunzelte Stirn ließ ihn wie einen gefallenen Engel aussehen.
»Aus welchem Grund würdest du dein Jawort denn geben? Sag es mir, und ich werde dir entgegenkommen.«
Wie auf eine Eingebung hoffend oder um Hilfe ersuchend oder was immer, hob sie die Hände. Er würde sie nicht verstehen, konnte es gar nicht. Es erschien ihr wie eine grausame Ironie des Schicksals: Jetzt wusste sie, dass Marcus der Schlüssel zu ihrem Glück war. Er könnte es bewerkstelligen, könnte ihr jene Glückseligkeit schenken, auf die sie dort im Gras mit dem Mädchen und ihrem Laird einen Blick erhascht hatte. Aber nur wenn er jene Hirngespinste fahren ließ und sie so nahm, wie sie war. Und nur wenn sie ihre Ängste ablegte und ihn so nahm, wie er war – der Sohn von Hanoch. Doch offensichtlich schien es, als sei keiner von beiden dazu in der Lage. Und deshalb sagte sie das Einzige, was noch einen Sinn für sie machte, das Einzige, an das sie sich aus guten Gründen fest hielt:
»Ich kann dich nicht heiraten.« Sie entfernte sich ein paar Schritte von ihm, dann drehte sie sich um und ging zur Tür. Ihre Finger kämpften mit dem Riegel.
»Du kannst nicht?«, wiederholte er hinter ihr – endlich, endlich begriff er, was sie meinte.
Sie antwortete nicht. Der Riegel hakte, vielleicht wegen der eingesetzten Kälte. Er musste festgefroren sein.
»Du kannst nicht«, sagte er wieder, und in seine Stimme mischte sich ein neuer Ton, bei dem sich, während sie am Riegel zerrte, ihre Haare im Nacken sträubten. Sie begann, noch fester daran zu rütteln.
»Warum kannst du nicht?«
Sie beachtete ihn nicht und kämpfte weiter mit dem widerspenstigen Verschluss.
»Avalon! Warum kannst du nicht?«
»Weil!«, schrie sie. Plötzlich löste sich der Riegel, und sie floh barfuß durch die Tür, da sie ihre Schuhe vergessen hatte. Sie würde nicht zurückgehen, um sie zu holen, nicht, solange Marcus dort auf sie wartete.
Allerdings wartete er gar nicht, sondern folgte ihr, noch spärlicher bekleidet als sie, doch darob unbekümmert, nach draußen in den Flur.
»Avalon!« Er lief, um sie einzuholen. Dabei hielt er seinen Tartan fest, damit er nicht wegrutschte. »Warte! Rede mit mir!«
In der Eile verlor sie die Orientierung im Gewirr der Gänge. Sie erinnerte sich nicht an den Weg zu ihrem Zimmer, und die Leute, die an ihr vorbeiwanderten, waren keine Hilfe. Sie sah nur erstaunte Gesichter, wachsende Neugier und dann eine Menge Schaulustiger, die sich hinter Marcus versammelte.
Verflucht, wo war sie? Welcher Saal war das? Avalon konnte es einfach nicht sagen. Keiner sah richtig aus. Die Säle wuchsen zunehmend, und dann erkannte sie das ganze Ausmaß ihres Fehlers. Denn als sie um die nächste Ecke bog, fand sie sich in der großen Halle wieder, wo alle Burgbewohner beim Frühstück saßen.
Sie blieb stehen. Schamröte überzog ihr Gesicht und sie atmete schwer. Ihr ungebärdiges Haar wallte in alle Richtungen, den Tartan hatte sie sich nur übergeworfen und das Kleid stand im Rücken halb offen. In höchster Verlegenheit wurde ihr ihr Aussehen bewusst. Sie konnte es deutlich an jeder einzelnen Miene erkennen und jeden einzelnen Gedanken lesen, als alle wie auf Kommando ihre Blicke auf Marcus richteten, der gerade hinter ihr angerannt kam.
Allmächtiger! Sie wollte im Boden versinken. Die Erde sollte sich auftun und sie verschlingen, damit diese Pein ein Ende nahm.
In dem riesigen Raum war es mucksmäuschenstill. Keiner rührte sich, keiner sagte ein Wort. Da war nur Marcus, der näher trat, um sich neben sie zu stellen, und genauso schwer atmete wie sie.
»Warum kannst du mich nicht heiraten?«, fragte er mit klarer, weit tragender Stimme.
Die Menge richtete ihren Blick wieder auf sie und wartete zusammen mit ihm auf ihre Antwort.
»Weil«, blieb sie hartnäckig, während sie sich Mühe gab, in der widerhallenden Leere ringsum nicht zu leise zu klingen.
»Weil was?«
Sein Haar hing offen und genauso wirr herab wie ihres. Es gab einen überdeutlichen Hinweis auf das, womit sie ihre Nacht verbracht hatten. Seine Augen strahlten hell und siegreich.
»Weil ich einen Schwur geleistet habe, es nicht zu tun!«, schrie Avalon, die von seiner Schönheit und dem, was zwischen ihnen hätte sein können, endlich dazu getrieben wurde, es auszusprechen. »Weil dein Vater
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