Sueße Prophezeiung
mich dazu brachte, dich zu hassen, ehe ich eigentlich wusste, wer du bist – nämlich sein Sohn!!« Nervös rang sie die Hände. Sie wandte den Blick von allem anderen im Raum ab und starrte nur auf ihre Hände, denn sie war der Mittelpunkt der gesamten Aufmerksamkeit. Ihre Stimme wurde leiser. Dieser schreckliche Kloß steckte, genau wie in der letzten Nacht, in ihrem Hals.
»Weil ich Angst habe, dass du dich in ihn verwandelst!«
Marcus starrte auf sie hinab, auf ihren gesenkten Kopf, auf die weiß hervortretenden Knöchel ihrer Hände, und spürte, wie ihm der Schock in alle Glieder fuhr.
Sich in Hanoch verwandeln? Himmel, sich in seinen Vater verwandeln, jenen Mann, den er fast sein ganzes Leben lang entweder zu vergessen oder zu ignorieren trachtete? So ein grässlicher Mensch werden?
»Nein«, stieß er unwillkürlich hervor und schüttelte den Kopf. »Avalon, nein. Niemals!«
Sie schaute auf und in ihren wundervollen Augen standen Tränen, als sie ihren Blick wieder abwandte.
»Treulieb«, sprach er mit weicher Stimme. Er machte keine Anstalten, sie zu berühren, aus Angst, diese Tränen an ihrer Stelle zu vergießen. »Mein Leben! Ich würde dich nie mit Absicht verletzen. Nie würde ich etwas tun, für das du mich hasst.«
»Das ist bereits geschehen!«, sagte sie mit einem Beben in der Stimme. »Du hast es bereits getan ... mich entführt und hierher gebracht! Für dich selbst und diese alle« – mit einer Handbewegung umfasste sie die verwirrten Leute, die sie umgaben –, »aber ich war dir gleichgültig! Du weißt ja nicht einmal, wer ich bin!«
»Doch, das weiß ich«, entgegnete er, »ganz genau ...«
»Nein! Du kennst nur deine Legende! Du hast deinem Vater gelauscht, einem Märchen, und mich deiner Vorstellung angepasst, weil dir das gefällt und es das ist, was dich befriedigen wird. Aber das hat nichts mit mir zu tun.«
Sie trat einen Schritt zurück, als ob sie sich davonmachen wollte. Aber dann hielt sie an und hob das Kinn. Avalon war so stolz, so schön und ihre Gefühle in solch einem Aufruhr, dass Marcus auf einmal meinte, sie vor sich selbst schützen zu müssen.
»Der einzige Grund, weshalb du mit mir zusammen sein willst, ist deine Legende«, fuhr Avalon mit ersterbender Stimme fort. »Du würdest mich heiraten, um sie zu stärken, um sie so wahr zu machen wie möglich. Aber ich würde darin verloren gehen, und du würdest das zulassen. Du würdest meinen Untergang noch beschleunigen. Ich kann das, was ich bin, weder für dich noch für sonst jemanden aufgeben.«
Sie hatte Unrecht, sah ihn falsch; aber Marcus begriff, dass es fast unmöglich sein würde, sie davon zu überzeugen. Und er erkannte sogar, warum. Wenn man alles so zusammenfasste, wie sie es sah – dann war es eine Folge von unglückseligen Verkettungen, die nur den Zweck hatten, sie in eine Falle zu treiben.
»Wenn ich dich heiraten würde«, fuhr sie fort, und die Tränen begannen langsam über ihre Wangen zu fließen, »dann hätte Hanoch gewonnen und du besäßest die Macht, mich zu vernichten. Das mag ich nicht zulassen!«
Tiefes Schweigen senkte sich über die Halle und ihre Worte verhallten an den steinernen Wänden. Niemandem war ihre Qual entgangen.
Müde schüttelte Marcus den Kopf. »Na gut«, meinte er und hörte ein gedämpftes Keuchen von seinen Leuten. Trotz des würgenden Schmerzes in seiner Brust sprach er weiter. »Wenn du das wirklich denkst, dass ich mich in Hanoch verwandeln könnte, dass ich dich nur wegen dieser Legende will – dann muss ich dich freigeben. Es steht dir offen, Sauveur zu verlassen!«
Von allen Seiten wurde er mit ablehnenden Kommentaren und Rufen der Clansleute bestürmt, die ihn aufforderten, seine Worte zurückzunehmen. Marcus hob eine Hand, und der Lärm legte sich. Alle starrten ihn an.
Avalon schaute zu ihm auf, und er konnte an ihrer Haltung – steif und hochgereckt, in Kampfposition – erkennen, dass sie das für einen neuen Trick hielt, um sie herumzukriegen.
»Du hast Recht«, sagte er. »Ich kann dich nicht heiraten. Nicht so!«
Ein Raunen ging durch die Menge. Alle Versammelten waren bestürzt und dachten, er sei nicht mehr bei Verstand. Denn sie wollten keinesfalls die Braut freigeben.
Aber ihre Angst war längst nicht so groß wie die von Marcus, Avalon zu verlieren.
Ihre Hände bebten nicht mehr, und sie hielt sie verschränkt vor sich, wo sie der Tartan und ihr seidiges Haar teilweise verdeckte. Marcus musste den Blick von ihr abwenden. Er
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