Sueße Prophezeiung
dem unbefestigten Weg ins Stolpern und fing sich rechtzeitig, indem sie an Avalons Schulter Halt suchte. Der Umhang rutschte bedrohlich zur Seite und enthüllte den Schleier und einen Teil ihres Gesichts. Avalon griff nach oben und rückte ihn sofort wieder zurecht. Sie wagte nicht, die Wachposten und die anderen Leute anzusehen.
Das Mädchen verzog bekümmert die Miene.
»Es tut mir Leid, Mylady, so Leid, ich ...«
Avalon bedachte sie mit einem warnenden Blick, und Elfrieda verstummte sofort, schaute aber immer noch betrübt drein. Freundschaftlich nahm sie die Hand des Mädchens in ihre eigene.
Die Wachen hatten nichts bemerkt und ereiferten sich nun über den durchdringenden Geruch von Pferden und wie ähnlich dieses Verhalten wieder all den unwillkommenen Herren sah.
Das waren keine guten Nachrichten für Avalon. Offensichtlich wollte Bryce so viele hochwohlgeborene Zeugen wie nur möglich für den morgigen Abend.
Den heutigen Abend, korrigierte sie sich. Mittlerweile war es weit nach Mitternacht.
Das Dorf lag nahe bei Trayleigh Castle. Da versammelten sich etliche Hütten aus Lehm und Holz, und es gab sogar zwei Schänken sowie das Gasthaus. Die Schar der Dienstboten begann sich in den schmalen Gassen und dunklen Türeingängen zu verlieren.
Im Gasthaus gab es nur vier Zimmer, die vermietet wurden. Daran erinnerte Avalon sich noch aus ihrer Kindheit: Ona kehrte hier immer ein bei ihren Dorfgängen. Hier ruhte man sich bei süßem Ale und Fleischpasteten aus.
Die Zimmer waren sicher belegt, nahm Avalon an. Als sie den Schankraum betraten, quoll dieser über vor Menschen, vornehmlich Männern, die tranken, aßen und laut lachten. Elfrieda schien bei dem ungewohnten Anblick zu erschrecken; aber ihr Griff um Avalons Hand lockerte sich nicht, und sie begann, sich durch die Menge zu schlängeln. Nur die weißen Linien um ihren Mund verrieten die Nöte des Mädchens, während sie Avalon an den langen Tischen und Bänken vorbeizog.
Sie wurden mit allerhand Pfiffen und Rufen bedacht, und einmal holte ein Mann mit rotem Bart aus und versetzte Elfrieda einen Klaps auf den Hintern. Das rief den grölenden Beifall der anderen hervor. Doch nichts brachte das Mädchen von seinem Kurs ab, und kurz darauf erreichten sie die enge gewundene Treppe, die zu den Räumen im oberen Stockwerk führte.
Elfrieda ging voraus. Beide blieben stehen und senkten die Köpfe, als ihnen ein Lord entgegenkam. Sie drückten sich an die Wand, um ihn vorbeizulassen, und stiegen dann erst weiter. Der Lärm von unten drang ungehindert durch den hölzernen Boden. In der Luft hing der Geruch von Bier und Schweiß.
Endlich erreichten sie oben am Ende des Flurs eine robust aussehende Tür.
Elfrieda klopfte zweimal und trat ein, wobei sie Avalon immer noch hinter sich herzog.
Das Zimmer war nur ein schwach beleuchteter, vollgestopfter Raum, den man mit Holz und Reetmatten abgetrennt hatte. Wahrscheinlich waren dadurch aus den vormals vier Zimmern fünf geworden, dachte Avalon.
Ein Mann stand an der Tür, und Elfrieda drehte sich zu ihm um. Mit einem erstickten Laut, den Avalon als Ausdruck tiefster Freude erkannte, warf sie sich in seine Arme. Der Mann hielt sie fest umschlungen, senkte seinen Kopf zu ihr hinab und flüsterte ihr etwas ins Ohr.
Avalon musste wegschauen. Es war so tapfer und freundlich von Elfrieda gewesen, sie hierher zu bringen, und sie verdiente nicht den Neid, der Avalon beim Anblick der beiden Liebenden durchfuhr.
Ein elfenhaft zartes Wesen saß in einem Stuhl neben einem kärglichen Feuer. Die Frau war alt und gebrechlich. Umschlagtücher hüllten sie ein, und sie versank förmlich in einem Pelz, der über ihren Beinen lag. Der Blick, mit dem sie Avalon bedachte, war voll Erwartung und Neugier, während ihre Hände unruhig in ihrem Schoß zuckten. Mistress Herndon – daran bestand kein Zweifel.
Avalon wartete darauf, dass die Chimäre wieder zum Leben erwachte, um ihr zu sagen, was sie als Nächstes tun sollte. Doch sie blieb entnervend still. Offensichtlich hatte sie sie nur hergeführt, um ihren Schlummer fortzusetzen. Sie stieß einen frustrierten Seufzer aus und trat näher an die Frau heran, während sie, ohne sich etwas dabei zu denken, die Kapuze zurückstreifte.
Mistress Herndons trübe braune Augen weiteten sich, und sie schenkte Avalon ein zittriges Lächeln.
»Aber das ist ja Lady Gwynth«, rief sie überrascht. »Ich hatte Euch fast ganz vergessen und jetzt seid Ihr hier, Lady Gwynth!«
Zu Füßen des
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