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Sueße Prophezeiung

Sueße Prophezeiung

Titel: Sueße Prophezeiung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shana Abe
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die Lippen, und der Drang, den Kopf nach hinten zu reißen, um seiner leichten Berührung zu entkommen, war übermächtig. Sie fühlte sich so merkwürdig. Etwas Derartiges hatte sie noch nie empfunden. Er schien eine Art nervöses Rauschen, das ihren ganzen Körper erfasste, hervorzurufen. Sie hatte das Gefühl, als sei ihr Bewusstsein aufs Äußerste geschärft ...
    Verrückt! Sie hatte keine Ahnung, warum sie so merkwürdig auf diesen Mann reagierte, aber sie durften auf keinen Fall hier entdeckt werden. Wenn Bryce es erfuhr, würde er sie alle töten, er würde es tun müssen – und die Verzweiflung verlieh ihren Worten enorme Überzeugungskraft.
    »Ich bin ein Niemand, Herr.«
    »Niemand?« Mit bestürzender Ungezwungenheit streifte er ihre Kapuze zurück. Avalon hörte Elfrieda einen leisen Schrei ausstoßen.
    Der Fremde achtete nicht darauf. Ruhig und nachdenklich musterte er sie. Avalon tastete nach ihrem Schleier, während sie im Stillen darum betete, dass er immer noch ihr Haar bedeckte; Gott sei Dank war er nicht verrutscht. Rasch senkte sie abermals den Kopf.
    In ihrem Geist hatte sich alles, was ihr trotz des schlechten Lichts von ihm auffiel, eingebrannt: zurückgebundenes schwarzes Haar, Lippen, auf denen kein Lächeln lag, helle Augen, die sie an Frost denken ließen.
    »Niemand«, wiederholte er leise, als ob er mit sich selber spräche, und sie vernahm etwas Neues in seiner kultivierten Stimme, etwas Wildes und Besorgniserregendes. »Das glaube ich nicht.«
    Sie versuchte, sich an ihm vorbeizudrängen, aber hartnäckig hielt er sie auf. »Wie heißt du?«
    Verwirrenderweise kam ihr absolut nichts in den Sinn. Unfähig, auch nur eine Silbe zu äußern, starrte sie seine Brust an.
    »Rosalind!«, quiekte Elfrieda. »Wir müssen los! Sonst verspäten wir uns!«
    Der Fremde warf wieder einen kurzen Blick auf das Mädchen, das hinter ihm stand, und wandte sich dann erneut Avalon zu. Mittlerweile hatte sie es aufgegeben, nach unten zu schauen, und begegnete ruhig seinem Blick. Er kniff seine Winteraugen zusammen. Um seinen Mund lag eine Anspannung, als ob er etwas sähe, was ihm nicht gefiel.
    »Rosalind.« Er schien sich den Namen förmlich auf der Zunge zergehen zu lassen, während er ihn voll unbewegter Skepsis wiederholte.
    Sie machte einen kleinen Knicks auf der Treppe. Wie sollte sie diesem Mann und diesem Moment, der eigenartigen Aura, die ihn umgab, dem flammenden Stich an ihrem Kinn, wo er sie berührt hatte, entkommen?
    »Bitte, Herr«, fing Elfrieda jetzt zu betteln an. »Lasst ab von meiner Schwester. Wir müssen zu unserem Vater nach Hause, sonst wird er uns schlagen.«
    Der Mann schüttelte den Kopf. Nur ein Mal. Das Licht hinter ihm spiegelte sich in seinem ebenholzschwarzen Haar wider.
    »Rosalind!« Allein in der Art, wie er den Namen aussprach, lag so viel Unglauben, als ob er ihre durchsichtige Geschichte längst durchschaute. Das machte sie so nervös, dass sie endlich die Willenskraft aufbrachte, unter seinem Arm hindurchzuschlüpfen und über zwei Stufen zu hüpfen, um sich wieder zu fangen. Elfrieda setzte sich genauso schnell in Bewegung, und beide rannten die restlichen Stufen abwärts.
    Er kam nicht hinterher. Irgendetwas sagte Avalon, dass er das nicht tun würde. Und als die jungen Frauen sich durch den Schankraum nach draußen in die Nacht begaben, dachte Avalon an jenen heiklen Augenblick, als sie gehandelt hatte und er nicht – obwohl es für ihn so einfach gewesen wäre, ihre Flucht zu vereiteln und sie vielleicht für immer bei sich zu behalten mit seinem vollen schwarzen Haar, den eisigen Augen und seinem muskulösen Körper, der ihren fast zu verschlingen schien.
    Aber er hatte sie gehen lassen. Avalon ermahnte sich, froh darüber zu sein.
    Die Nacht bescherte ihr keinen Frieden. Als der Morgen kam, schreckte Avalon davor zurück. Sie vergrub ihren Kopf unter den Decken ihrer Bettstatt, während sie sich wünschte, immer weiterschlafen zu können. Der Schlaf schien ihr wie ein Schutzschild zwischen ihr und den Problemen, die ihr Leben überschatteten.
    Doch die Sonne war hartnäckig und schließlich setzte sie sich auf, um sich der Helligkeit, die sie umgab, zu stellen.
    Genau auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes standen ihre Truhen in einer langen Reihe. Jede war mit schönen Gewändern gefüllt – Maribels ganzer Freude – und Avalon konnte nicht anders, als ein leichtes Bedauern darüber zu empfinden, dass sie dabei war, die Arbeiten all dieser Näherinnen

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