Sueße Prophezeiung
deren brennende Neugier, die dreisten Blicke, die schwirrenden Spekulationen, die vernehmlicher wurden, als die Sonne tiefer über den Horizont sank.
Lady Claudia machte sich nicht die Mühe, die Gastgeberin zu spielen. Sie saß mit zwei Begleiterinnen und einer Flasche Wein in einer Ecke. Immer wieder spürte Avalon ihren Blick auf sich ruhen und erkannte den kaum verhüllten Zorn und die Angst, die die Frau erfüllten.
Avalon nahm einen Schluck vom scharfen Wein. Keinesfalls sollte Mitleid mit Claudia ihr Urteil trüben. Bestimmt war es nicht leicht, mit einem Mörder verheiratet zu sein. Aber sie hatte weiß der Himmel selber genug gelitten. Der Zorn, den Avalon in ihr spürte, rührte von Claudias Wut darüber her, dass Avalon auf die Pläne ihres Ehemannes einzugehen schien.
Du liebe Güte, was hatte sie von Avalon erwartet? Es war schwer genug, die Dinge zu verheimlichen, die sie bereits herausgefunden hatte. Wollte Claudia wirklich, dass sie sich erhob und gegen den Baron und seinen Bruder vor ihren Spießgesellen und Peers auflehnte? Das konnte nicht sein.
Man würde sie zweifellos in Luedellas Zimmer sperren, bis sie einwilligte, oder schlimmer noch, sie der Willkür Warners überlassen und ihm so die Möglichkeit geben, sie auf seine eigene Art und Weise zu dieser Heirat zu zwingen ...
Er besaß jetzt die Unverschämtheit, seine Hand auf ihrer Taille ruhen zu lassen – es war zwar nur eine leichte Berührung, doch gleichzeitig eine deutliche Erklärung seiner Eigentumsrechte.
Avalon ertug es mit zusammengebissenen Zähnen.
»Ihr seid die schönste Frau hier«, raunte er ihr zu, während er sich zu ihrem Ohr neigte.
»Wie freundlich Ihr seid«, erwiderte sie und drehte sich schnell um, um einen sich nähernden Lord zu begrüßen, wobei sie Warners Hand wegstieß.
In Sekundenschnelle lag sie wieder an der alten Stelle und er übernahm das Gespräch.
Sie konnte nicht anders, als nach dem Mann aus dem Gasthaus zu suchen. Einerseits fürchtete sie sein Kommen aus Angst, er würde sie wieder erkennen, aber andererseits war sie auch voller Erwartung ... und dafür gab es keinen Grund. Wenn sie sich konzentrierte, spürte sie fast das seltsame Gefühl, das er hervorgerufen hatte, wieder. Jenes einzigartige, summende Brausen dicht unter der Haut, das durch seine Berührung wachgerufen worden war.
Vielleicht würde er sie anprangern und ihr vor allen Anwesenden vorwerfen, sich als Schänkendirne maskiert zu haben. Er stellte eine unberechenbare Gefahr für sie dar.
Aber Avalon hielt trotzdem nach ihm Ausschau, und immer noch nagte die Enttäuschung an ihr, weil er nicht in der wimmelnden Menge auftauchte.
Die wirbelnden Gerüchte, die sich selbst von Mund zu Mund jagten, die stets neu aufbrandende Unterhaltung, die wissenden Blicke, die auf ihr und Warner ruhten, schienen kein Ende zu nehmen. Der Klatsch erhob sich und hallte von den Steinwänden und der Decke wider. Sein Echo verursachte ihr einen hämmernden Schmerz in den Schläfen.
Ihr Kelch war leer, der gewürzte Wein endlich zur Neige gegangen. Er brannte ein Loch in ihren Magen. Das Essen stand noch nicht auf den Tischen.
»Mehr Wein?«, fragte der nicht von ihrer Seite weichende Warner.
Sie schenkte ihm ein laszives Lächeln. »Nur, wenn Ihr ihn mir selbst holt, Mylord!«
Erst riss er die Augen auf, dann senkte er die Lider. Sie begegnete seinem Blick, ohne das Angebot, das in ihren Augen lag, zurückzunehmen. Doch auf einmal tat sie so, als ob die Schüchternheit sie überwältigen würde, und sie blickte nach unten. Wenn sie nur auch die Kunst beherrscht hätte, auf Befehl zu erröten.
»Es wäre mir eine Ehre«, sagte er schließlich und küsste ihre Hand, bevor er ging, um nach einem Bediensteten zu suchen.
Er würde nicht lange brauchen. Solange er ihr den Rücken zuwandte, tat sie die notwendigen Schritte in einen seitlichen Gang, der in einen anderen Saal führte. Sie gab sich den Anschein von Zielstrebigkeit, als sie, ohne sich umzuschauen, vorwärts marschierte.
Niemand hielt sie auf, obwohl sie sicher war, dass viele ihr Weggehen bemerkt hatten. Sie würde bald zurückkehren, aber jetzt musste sie erst einmal an die frische Luft, raus aus diesem beengenden Raum. Nur einen Augenblick lang wollte sie den kühlen Wind auf ihrer Haut spüren, und sie wusste auch den perfekten Ort dafür.
Im Burghof gab es einen Garten, für dessen Pflege ihr Vater gesorgt hatte. Eine kleine Einfriedung mit Bäumen und Pflanzen. Ihre Mutter hatte
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