Sueße Prophezeiung
ihn angelegt, wusste sie von Ona. Es war einer von Avalons Lieblingsplätzen gewesen, ein Garten voller Überraschungen, ein kleines Paradies.
»... eingetroffen. Er ist jetzt in der Kapelle, Mylord, und wartet darauf, was Ihr anzuordnen geruht.«
Avalon blieb stehen, als sie die gedämpften Worte vernahm, die durch die geschlossene Tür drangen, an der sie gerade vorbeiging. Sie schaute um sich. Die Halle lag verlassen da.
»Gut, gut.« Das war unverkennbar Bryce, der sich nicht einmal bemühte, seine Stimme zu dämpfen. »Sag ihm, dass wir innerhalb einer Stunde bei ihm sein werden. Sorg dafür, dass er bereit ist.«
Einen Moment lang herrschte Schweigen. Avalon stellte sich vor, wie der Diener sich zum Abschied verneigte. Voller Panik schaute sie sich nach einer Nische um, wo sie sich verstecken konnte. Doch dann ertönte wieder Bryce’ Stimme, deren Klang zu entnehmen war, dass er eine geringfügige Kleinigkeit erwähnte, die er vergessen hatte.
»Oh, sag dem Priester, dass die Braut vielleicht etwas ... unwillig sein könnte. Sag es ihm, damit er sich darauf einstellt.«
»Das haben wir bereits getan, Mylord.«
»Schön. Dafür, was ich ihm bezahle, kann er ruhig das eine oder andere jungfräuliche Geziere übersehen.«
»Jawohl, Mylord.«
Avalon floh. Sie dachte nur noch daran, von dieser Tür wegzukommen. Ihre Röcke, die sie gerafft hatte, wogen schwer in ihren Händen. Die Amethyste schlugen funkelnde Blitze im Licht der Fackeln, an denen sie vorbeirannte.
Idiot!, beschimpfte sie sich selbst, während sie um Ecken keuchend einem Weg folgte, den sie nur noch teilweise kannte. Bryce war viel verzweifelter, als sie angenommen, und genauso rücksichtslos, wie sie befürchtet hatte.
Heute Nacht würde er sie verheiraten – heute Nacht! Vor all diesen Leuten würde er sie ohne viel Federlesens vor den Altar schleppen, sie unter Druck setzen und das, was von ihrem Leben noch übrig war, um seines persönlichen Profitwillens zerstören.
Der Gedanke, mit Warner verheiratet zu werden, der Gedanke an seine Größe und die Bedrohung, die von ihm ausging, an seine wulstigen Lippen, die sich feucht auf ihre Haut drückten, ließ sie bis ins tiefste Innere erschaudern.
Den Garten gab es zu ihrer Erleichterung noch. Er war etwas verwildert, alle Bäume größer und das Strauchwerk bis auf den Weg gewachsen. Avalon verfiel wieder in ihre normale Gangart, als sie ihn betrat. Sie tauchte in das Zwielicht ein und ließ sich von seinem diffusen Schein einhüllen. Beide Hände gegen die Seiten ihres Kopfes gepresst, fragte sie sich verzweifelt, was sie tun sollte.
Unter dem Vorwand, an Kopfschmerzen zu leiden, die allerdings sehr real waren, könnte sie in ihre Gemächer zurückkehren. Sie könnte ihre Sachen zusammenpacken und sich zu den Stallungen schleichen, ihr eigenes Pferd stehlen, wegreiten ...
Sie könnte auch vorgeben, plötzlich krank zu sein, in Ohnmacht zu fallen und erst wieder aufstehen, wenn der Priester des Wartens müde geworden war ...
Oder sie könnte sich auflehnen, wie Claudia es ihr nahe gelegt hatte, sich weigern, Warner zu heiraten, Bryce öffentlich anklagen, dass er den Tod ihres Vaters auf dem Gewissen hatte …
Doch das war alles Wahnsinn. Avalon lachte in Richtung eines Lorbeerbusches. Vielleicht hatte Nicholas Latimer ja die ganze Zeit Recht gehabt und sie war wirklich verrückt.
Von oben hörte sie ein Rascheln, Äste, die sich bewegten und dann wieder bewegungslos verharrten. Man konnte es sich eingebildet haben ...
Ihre Schritte auf dem mit weißen Kieselsteinen bedeckten Weg wurden langsamer, dann blieb sie stehen. Eine Lerche trillerte in einem der alten Bäume ein kurzes Lied.
Der Himmel leuchtete in den Farben Blau und Lila, die zu ihrem Kleid passten und bald der tintigen Schwärze der Nacht Platz machten.
Die Lerche sang wieder.
Ein seltsames Gefühl der Ruhe überkam Avalon. Sie ging tiefer in den Garten hinein. Irgendwo hatte hier immer eine Bank aus Marmor gestanden, über der üppig rankendes Geißblatt eine Laube aus Blättern und Blüten schuf. Sie wollte diesen Ort mit seinen smaragdgrünen Blättern und gelben Blüten gern noch einmal sehen, den taufrischen Duft so lange einatmen, bis all ihre Sorgen fortgespült waren und sie deutlich erkannte, was sie zu tun hatte.
Wieder raschelte es, als sie sich dem Ende des schmalen Wegs näherte. Dieses Mal kam es direkt von links hinter den weichen Blättern der Winterkirsche.
Oder vielleicht erklang es doch nicht
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