Sueße Prophezeiung
schwang geräuschlos in den Angeln, und Marcus Kincardine sagte kein Wort, als er im Zimmer war.
Avalon fragte sich, ob es wohl so bleiben würde, dass sie ihn vor allen anderen Dingen spürte – vor dem Regen oder dem Donner oder den Stimmen all des menschlichen Getriebes. Kopfschüttelnd verbannte sie den Gedanken.
»Mylord, ich werde mich nicht länger in diesem Raum einsperren lassen«, verkündete sie, ohne ihn dabei anzusehen.
Er gab keine Antwort. Avalon zählte bis zwanzig und drehte sich dann zu ihm um.
Wie schon zuvor, als er erklärt hatte, sie sei starrsinnig, lehnte er sich an den kleinen Tisch. Seine Hände hatte er hinter den Rücken gelegt. Sein Haar floss offen in weichen Wellen reinsten Schwarz bis zu seinen Schultern. Es war sogar noch dunkler als das Schwarz des Tartans, den es berührte. Sein Kopf war leicht zur Seite geneigt, die eisig blauen Augen flackerten neugierig und musterten sie. Einen Hinweis auf die Schlange gab es nicht.
»Man darf mich nicht einsperren. Ich ertrage es nicht«, erklärte sie. Sie vernahm ihre eigenen Worte und konnte kaum glauben, dass sie ihm solch eine Waffe in die Hand gab.
»Ich verstehe.« Er blieb, wo er war. Eine Gestalt aus Regenschatten und Sturmlicht.
Avalon achtete darauf, dass sich kein flehender Ton in ihre Stimme schlich. »Ich habe den Gesandten mitgeteilt, dass ich vorläufig auf Sauveur bleiben werde.«
Das brachte ihr ein weiteres sardonisches Kräuseln seiner Lippen ein. Sie sprach weiter und ignorierte den Verdacht, dass er insgeheim über sie lachte.
»Aus diesem Grunde sehe ich keine Notwendigkeit, mich weiterhin einzusperren. Ich werde aus freien Stücken bleiben – zumindest für den Moment.«
Eine Böe des draußen tobenden Windes traf sie plötzlich von hinten, ließ ihr Haar um Schultern und Gesicht flattern. Sie schüttelte den Kopf und fasste es mit ihrer gesunden Hand wieder zusammen.
»Nun, vielleicht sollte ich Euch danken, dass Ihr mir das Leben gerettet habt«, meinte Marcus, während er den Wind beobachtete.
»Oh! Hm.« Ohne jeden Grund brachte sie das völlig durcheinander, und um sich wieder in den Griff zu bekommen, schaute sie weg und blickte auf die steinerne Wand neben ihm.
»Das ist jetzt schon das zweite Mal«, fügte er hinzu und wandte seinen Blick von den unsichtbaren Wirbeln im Raum ab, um sie zu fixieren.
»Das zweite Mal? Ich glaube nicht«, erwiderte sie verwirrt.
»Doch, doch, auf jeden Fall das zweite Mal.« Jetzt trat er näher, und wieder war er der Wolf, die Schlange, das ungezähmte Ding, auf das sie zuvor einen Blick erhascht hatte – und er hielt es nur mühsam im Zaum. Wie hatte sie es bis zu diesem Augenblick nicht sehen können? Der Dämon in ihm war immer noch höchst lebendig und nur durch einen stählernen Willen gebändigt. Das musste der Sturm sein, dachte sie, nicht ängstlich, sondern erstaunt. Der Sturm riss sie mit sich fort, der Donner störte ihre Gedanken.
Nur ein paar Schritte von ihr entfernt blieb Marcus stehen. Forschend musterte er ihr Gesicht, während er sein sardonisches Lächeln beibehielt.
»Das erste Mal vor dem Hengst«, teilte er ihr kaum hörbar mit. »Dieses Mal vor den Männern im Söller des Studiersaals, die an meinem Tisch saßen und verkündeten, sie würden mir meine Gemahlin wegnehmen.«
»Ich bin nicht ...«
»Glaubt nicht, dass ich das je zugelassen hätte, Avalon! Sie hätten so viele Edikte erlassen können, wie sie wollten – doch Ihr gehört zu mir und Ihr werdet hier bei mir und meinen Leuten bleiben. Und sie müssten mich schon umbringen, um Euch mir zu entreißen.«
Der Sturm brach hinter ihnen und um sie herum mit aller Kraft los. Das wilde Rauschen des Regens erfüllte plötzlich den Raum.
»Aber ich bleibe«, rief sie, um den Sturm zu übertönen. Forschend sah sie ihm in die Augen.
»Ja, das tut Ihr«, lautete seine überzeugte Antwort.
Ohne Vorankündigung griff er nach ihrer Hand, hielt sie in seiner und blickte darauf hinab. Avalon folgte seinem Blick. Ihre Haut schimmerte gespenstisch bleich im fahlen Licht des Regens. Seine war dunkel, voller Schwielen und so viel größer als ihre, seine Finger lang und kräftig. Er hielt sie ganz leicht und setzte fast nichts von der Kraft ein, deren Vorhandensein sie kannte. Dennoch drängte er sich wieder mit jenem brennenden Gefühl, das nur er in ihr hervorzurufen vermochte, in ihr Bewusstsein. Es erfasste ihre Hand und breitete sich mit seiner glühenden Wärme über den Arm in ihrem ganzen
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