Sueße Prophezeiung
seinem Stuhl zurück.
Marcus stieß ein kurzes Lachen aus. »Da gibt es wenig Möglichkeiten, wo man hingehen könnte, falls du es noch nicht bemerkt haben solltest. Die Hälfte von Sauveur ist eine Ruine. Und die Nässe draußen lässt auch nicht nach.«
»Das ist richtig«, stimmte Bal ihm zu.
Der Regen klatschte gegen die Bleiglasfenster des Raumes, lief die Scheiben hinunter und verwischte die bunten Septemberfarben der Bäume und des Grases. Zumindest würden die bewohnbaren Teile von Sauveur trocken und intakt sein für den bevorstehenden Winter. Dafür hatten sie sorgen können.
»Wusstest du, dass mein Vater im alten westlichen Torhaus Pferde hielt, nachdem die Stallungen zusammengebrochen waren?« Marcus schaute in den Regen hinaus. »Ich erinnere mich daran. Er sagte, Pferde seien wichtiger als Steine.«
»Ein kluger Mann«, meinte Bal.
»Na, das ist aber mal eine ungewöhnliche Vorstellung, dass Hanoch vielleicht klug gewesen sein könnte.«
»Pferde sind wertvoll. Steine gibt es umsonst.«
Eine Frau steckte ihren Kopf in den Studiersaal. Sie blickte zu Marcus und sagte: »Verzeihung, Laird, aber die Braut hat soeben ihre Kammer verlassen.«
»Ich weiß«, erwiderte er.
Erwartungsvoll schaute ihn die Frau an, ging jedoch, als nichts weiter nachzukommen schien.
Marcus strich sich mit einer Hand durchs Haar und blickte schließlich auf das Durcheinander von Briefen, Schriftrollen und einzelnen Papieren, die über den Tisch verstreut waren. Es gab so viel zu tun. Das alles bedrückte ihn so sehr, dass er am liebsten die Augen geschlossen und es dem Vergessen anheim gestellt hätte. Oder sich selbst ... Was auch immer.
»Deine Lady benötigt einiges an Kleidung, die geschickt werden soll«, nahm Bal das Gespräch wieder auf. »Ich glaube, man kann schon bald damit rechnen.«
»Kleidung?«
»Sie wird von der Burg deines Feindes hergeschickt.«
»Wofür, zum Teufel, braucht sie Kleidung?«
Bal schaute weg. Jetzt trat ein Wachtposten in den Raum und machte eine kurze Verbeugung. »Die Braut ist ausgebrochen«, meldete er besorgt.
»Ich weiß«, seufzte Marcus.
»Sie ist in der Wirtschaftskammer«, fuhr der Wächter fort.
»Lasst sie«, ordnete Marcus an.
Der Wächter zog sich zurück.
Die Papiere türmten sich in wackeligen Haufen auf dem ganzen Tisch. Es gab Hauptbücher und hingeschmierte, fast unleserliche Notizen in der Handschrift seines Vaters. Eine betraf die Bezahlung mit einem Schaf und seinem Lamm für den Verlust einer Hütte. Eine andere erinnerte an die Übergabe von drei Schafen an einen reisenden Priester als Bezahlung für einen Besuch. Bei einer weiteren ging es um einen Streit um acht Ballen Wollstoff. Die Nächste enthielt den förmlichen Protest eines Bauern gegen einen anderen, der behauptete, er hätte fünf Reihen Hafer auf dem Land des anderen gesät, das in jenem Jahr für den Anbau von Gerste vorgesehen gewesen war. So ging es endlos weiter.
»Was gedenkst du jetzt also zu tun, Kincardine?« Bal beobachtete ihn von seinem Stuhl aus. Seine Worte waren ohne Arg und freundlich. »Willst du darauf warten, dass dir dein König die Erlaubnis erteilt, die Frau zu heiraten?«
»Seine Erlaubnis habe ich bereits«, erwiderte Marcus trotz des beiläufigen Tonfalls seines Freundes zornig.
»Dann wartest du auf die Erlaubnis des englischen Königs oder des Papstes?«
»Es ist mir völlig egal, was sie sagen. Und ich warte auch nicht auf ihre Zustimmung.«
»Aber irgendetwas beschäftigt dich. Ich frage mich, was!«
Marcus zuckte die Schultern und blickte wieder auf die Papierstapel. Bal musterte ihn einen Augenblick und ergriff erneut das Wort.
»Machst du dir gar keine Sorgen, dass diese Engländer wiederkommen und sie mitnehmen?«
»Nein«, antwortete Marcus. »Das wird nicht geschehen.«
»Bist du dir dessen sicher?«
»... spielt keine Rolle. Sie können es ruhig versuchen, aber sie werden sie nicht mitnehmen. Wir werden heiraten, ehe der Papst sich dazu entschließt, sich von d’Farouche bestechen zu lassen.«
»Sie ist ein Juwel. Ein kostbarer Besitz für jeden Mann«, meinte Bal – wollte er ihn damit gar testen?
»Nicht nur ein Besitz«, korrigierte Marcus. »An erster Stelle ist sie eine Frau.«
Ja, wie gut er das wusste: Fleisch und Lippen und süße Wärme, brennende Leidenschaft, Küsse, die seine Seele zu erleuchten schienen ...
»Ein Juwel«, wiederholte Bal, »das von mächtigen Männern geschliffen wurde. Männer, die sie dir wegnehmen wollen,
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