Sueße Prophezeiung
Notwendigkeit enthoben, gegen die Abordnung vorzugehen.
Er trat neben sie auf den Wehrgang. »Ein neues Tuch.«
Ihr Kopf reichte kaum bis über seine Schulter. Jetzt senkte sie ihn, um auf die Schlinge zu blicken.
»Ja. Euer Zauberer gab sie mir.«
»Mein Zauberer?«
»Euer heiliger Mann«, korrigierte sie sich. »Balthazar.«
Marcus grinste. »Ein Zauberer. Wie er sich geschmeichelt fühlen würde, wenn er das hörte.«
»Findet Ihr etwa nicht, dass er einer ist?«
»O doch, ich stimme Euch zu!« Marcus stützte sich mit dem Ellbogen auf eine Zinne und musterte den Himmel. »Zauberer ist eine passende Bezeichnung für ihn. Ihr habt ihn sofort durchschaut.«
»Es liegt an seinem Auftreten«, erklärte sie ernsthaft.
Ihm rutschte die Frage, die ihm auf der Zunge lag, heraus. »Und wie würdet Ihr mein Auftreten bezeichnen, Mylady?«
Tatsächlich schien sie darüber nachzudenken. Zwischen ihren Brauen bildete sich eine steile Falte. »Ihr ... Ihr seid der Laird. Euch wohnt eine natürliche Autorität inne. Aber da ist noch mehr. Ihr geht mit offenen Augen durch die Welt, und ich glaube, dass Ihr das gelernt habt.«
»Offene Augen«, wiederholte er gefesselt.
»Aufmerksamkeit. Und auch Vorsicht. Gewandtheit. Unter all Eurer Beherrschung liegt, wie bei einem Falken, Gewandtheit verborgen.«
Als Knappe hatte er in Ägypten einen Wüstenfalken aus der Nähe gesehen. Er war an den Arm seines Verkäufers gebunden, trug jedoch keine Kappe. Die lodernden Augen wiesen die Farbe von Sand auf, und die Schwingen waren so lang wie Männerarme. Der Falke musste verletzt sein. Vielleicht war es beim Einfangen geschehen. Er hatte ein Bein dicht an den Körper gezogen. Marcus wollte ihn retten, doch Trygve ließ es nicht zu. Der hielt so etwas für überflüssig. Das hätte ihm als Hinweis auf die wahre Natur des Ritters dienen sollen, wo Marcus jetzt darüber nachdachte.
Marcus hatte den festgebundenen Falken nie vergessen, dessen Kampfgeist trotz der Schmerzen ungebrochen und unerschütterlich war.
Avalon nickte. »Ein Falke«, murmelte sie und dann schien ihr plötzlich etwas einzufallen. »Ein Falke könnte eine Schlange töten.«
Diesen Gedankengängen vermochte Marcus nicht zu folgen. »Bin ich die Schlange oder der Falke?«, fragte er, ohne es wirklich als Scherz zu meinen.
»Der Falke«, antwortete sie sofort. »Ihr seid der Falke. Daran müsst Ihr immer denken.«
Jeder, der ihnen zuhörte, meinte sicher, dass sie Unsinn redeten, dachte Marcus. Aber bei ihren Worten spürte er etwas wie Erleichterung – als hätte sie eine geheime Furcht von ihm benannt, von der er selbst nie gewusst hatte, und die nun vom Wind fortgetragen wurde. Dem folgte Dankbarkeit, eine große Dankbarkeit. Er war der Falke.
»Eure Leute haben mit mir geredet«, erzählte Avalon ihm. »Ich glaube, das solltet Ihr erfahren.«
»Was denn?« Immer noch gab er sich seiner Erleichterung hin.
»Sie machen sich Sorgen, Mylord.«
»Ich wünschte, Ihr würdet mich Marcus nennen«, sagte er und ließ damit den Gedanken entweichen, der ihm auf der Zunge gelegen hatte. Avalon wirkte überrascht.
»Das ist nicht schwierig«, neckte er sie, »bei einem so kurzen Namen.«
»Ihr hört mir nicht zu, Mylord«, ermahnte sie ihn. »Ich spreche von Euren Leuten.«
»Schon recht«, erwiderte er und ging auf ihre Stimmung ein. »Sie kommen mit ihren Sorgen zu Euch, sagtet Ihr?«
»Ja.«
»Tja, Avalon, was erwartet Ihr? Ihr wisst, was sie von Euch denken – für wen sie Euch halten. Seid Ihr wirklich überrascht, dass sie bei Euch Rat suchen?«
»Aber es gibt nichts, was ich für sie tun könnte! Ich habe versucht, ihnen das mitzuteilen!«
»Für einige genügt es, dass Ihr einfach nur hier seid.«
»Das ist nicht genug. Ihr und ich wissen das, Marcus«, sagte sie zu ihrer eigenen Überraschung. »Ich bitte Euch noch einmal, mein Vermögen zu nehmen. Es würde so sehr helfen.«
»Wisst Ihr es denn nicht?«, fragte er mit weicher Stimme. »Habt Ihr es immer noch nicht begriffen? Die Legende betrifft nicht Euer Vermögen, sondern Euch. Sie wollen Euch, Avalon.«
Die Falte zwischen ihren Brauen vertiefte sich. Darauf schien sie keine Antwort zu haben. Deshalb schaute sie mit hängenden Schultern weg.
Er rückte näher an sie heran und wagte es, eine Hand um ihre Taille zu legen. Reglos wie ein Reh, das sich einem Feind gegenübersieht, ließ sie die Geste zu.
Sie sollte sich nicht vor ihm fürchten. Er wollte weder ihre Feindseligkeit noch ihren
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