Sueße Prophezeiung
Zorn oder ihre Ablehnung. Marcus wollte, dass sie ihn genauso begehrte wie er sie, und noch mehr – vieles mehr, Dinge, die er nicht einmal selbst in Worte fassen konnte. Diese Gefühle, die in den Tiefen seines Herzens schwebten und nur von Avalon kündeten, machten ihm fast Angst.
»Werdet Ihr mich heiraten?«, fragte er voller Zurückhaltung.
»Ich kann nicht«, wich sie aus. »Es tut mir Leid.«
Mit dieser Antwort hatte er gerechnet, und doch fügte sie ihm Schmerzen zu. Der Schmerz war heftiger, als angesichts der Umstände gerechtfertigt schien. Wie auch immer, ihre Antwort änderte nichts an seinen Absichten. Sie würden auf jeden Fall heiraten.
In weiter Ferne heulte ein einsamer Wolf in den Bergen, als der bronzefarbene Mond groß und rund aufging.
»Es ist spät«, meinte Marcus, aber er bewegte seinen Arm nicht.
Avalon gab keine Antwort. Es schien wie Zauberei, als ihr Haar den Mond widerspiegelte und nun wärmer und goldener aussah. Auch ihre Haut nahm das Licht auf; deren Farbe erinnerte ihn an die Menschen, die er im Heiligen Land gesehen hatte. Ihre Augen waren dunkel und unergründlich. Sie lehnte den Kopf zurück, um zu ihm aufzuschauen, und in diesem Moment glich sie einmal mehr einem exotischen Engel. Doch ihre nächsten Worte rissen ihn in die Realität zurück.
»Mylord, wie habt Ihr davon erfahren, dass Bryce die Absicht hatte, mich mit seinem Bruder zu vermählen?«
»Ein Brief. Man schickte uns einen Brief.«
»Darf ich ihn sehen?«
Er zuckte die Achseln und ließ sie los. Der Zauber hatte sich verflüchtigt. »Warum nicht!«
Marcus brachte sie an den einzigen Ort auf Sauveur, den Avalon zu kennen meinte außer der Kammer, in der sie wohnte. Sie hatte den späten Nachmittag damit verbracht, Sauveur zu erforschen, indem sie ziellos die Burg durchwanderte, bis sie der Menschenmenge müde wurde, die ihr folgte. Deshalb verkündete sie, sie würde nach draußen gehen, um sich den Regen anzusehen. Doch der Zug von Jungen blieb ihr trotz dieser Aussichten unerschütterlich auf den Fersen und schien sogar enttäuscht zu sein, dass der Regen aufgehört hatte, als sie den Südturm erreichten.
Inzwischen langten sie wieder in Marcus’ Söller des Studiersaals an – auf ihrem Streifzug hatte sie keine ähnlichen vier Wände gesehen. Sie fühlte sich wohl darin. Der Raum besaß genau die richtigen Maße, einen angemessenen Kamin und zwei Glasfenster mit einer hervorragenden Aussicht. Sie hatte sie nicht bemerkt, als sie den Gesandten gegenübergestanden hatte. Aber da hatte es auch wichtigere Dinge gegeben, die bedacht sein wollten.
Der lange Tisch, an dem sie gesessen hatten, war jetzt mit Papieren und losen Schriftrollen bedeckt. Und auch etliche gebundene, aufgeschlagene Bücher mit vielerlei Anmerkungen auf den Seiten lagen herum.
Avalon beobachtete, wie Marcus zu diesem Durcheinander ging und darin herumwühlte. Sie blickte auf sein ernstes Profil. Auch in seinem Tartan fand sie ihn so atemberaubend gut aussehend, dass sich ihre Sachlichkeit für einen Moment verflüchtigte ...
Wenn ihre Leben nur anders verlaufen wären ... er nicht als Sohn von Hanoch das Licht der Welt erblickt hätte. Wenn er nur nicht an diesen Unsinn von einem Fluch des Teufels glauben würde – und sie die Schrecken ihrer Kindheit nicht dazu getrieben hätten, jenen Schwur des Zölibats zu leisten ...
Doch dieser Mann war ein Teil von all dem, ob er nun wollte oder nicht. Auch wenn Marcus die Wahl gehabt hätte, dachte Avalon, würde er sich diesen verqueren Fluch zunutze gemacht haben. Und sie wäre ohnehin in diesen alles verschlingenden Wirbel aus Aberglauben und Lügen geraten – in die Nähe eines bodenlosen Abgrunds.
Sie entfernte sich von ihm, um einen fein gestickten Gobelin neben einem der Fenster zu betrachten. Er stellte ein Edelfräulein dar, das im Fluss badete, während ihr langes goldenes Haar sie wie ein Umhang umhüllte. Zofen standen am Ufer und betrachteten ihre Herrin aus schwarz gestickten Augen, mit schwanengleich gereckten Hälsen. Das Wasser war aus blauen, grünen und weißen Fäden gestickt. Und es gab sogar einen Schwarm kleiner Fische, der die Dame umschwamm.
»Ich verstehe das nicht«, hörte sie Marcus frustriert stöhnen. Sie drehte sich um und sah, dass er sitzend voller Abscheu auf das Schreibtischchaos starrte. »Er war hier«, erklärte er. »Er muss immer noch hier sein. Die Papiere sind alle zusammen gewesen.«
»Was ist das für ein Durcheinander?«, fragte sie und
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