Süße Rache: Roman (German Edition)
Rafael Salinas womöglich zu Fall bringen konnte. Er würde die erste Alternative als beinahe unerträglichen Affront gegen seine Autorität betrachten – er war so ein Typ -, aber die zweite Alternative konnte sich als Karrierekiller erweisen.
»Ich werde das mit dem stellvertretenden Direktor klären«, murmelte er missmutig und verschwand aus dem Büro, ohne die Tür zuzuziehen.
Andie stand auf und schloss hörbar die Tür.
»Ich kann ihn nicht leiden«, vertraute sie Special Agent Cotton an, als sie wieder saß.
Der Special Agent gestattete sich ein kleines Lächeln, aber er sagte nur: »Er ist ein guter Agent.«
»Das nehme ich an, sonst wäre er nicht in New York
stationiert, aber das trifft auch auf Sie zu.« Alle FBI-Agenten gierten nach einem Posten in einer Großstadt, am liebsten in Washington D.C. oder New York, wo die Action war und wo man im Zentrum stand.
»Ich arbeite mit einigen sehr klugen Leuten zusammen. Es ist leicht, gut dazustehen, wenn die Menschen um einen herum auf Draht sind.«
Andie hörte aus seiner Bemerkung heraus, dass er anders als Agent Hulsey etwaige Verdienste nicht für sich allein beanspruchte. Sie war froh, dass sie sich entschlossen hatte, bei Special Agent Cotton zu bleiben.
»Wenn es Sie nicht stört, würde ich gern einen Agenten hinzuziehen, der mit mir zusammengearbeitet hat, während mir der Fall Salinas zugeteilt war.« Er griff wieder zum Telefon. »Er heißt Xavier Jackson, er ist ein Genie in allem, was er anpackt. Er hatte das Pech, mir zugeteilt zu werden, aber wir unterhalten uns noch ab und zu, obwohl wir nicht mehr an diesem Fall arbeiten.«
Sie vermutete, dass sie von dem Fall abgezogen worden waren, weil sie keine Ergebnisse vorweisen konnten, obwohl sie darauf gewettet hätte, dass Hulsey nicht mehr zuwege gebracht hatte als sie. Natürlich hatte Hulsey so darauf gedrungen, dass sie mit ihm und nicht mit Cotton sprach; er hätte sich mit ihr als Zeugin schmücken können, und vielleicht hätte sie ihm die entscheidende Information geliefert, dank der sich verwertbare Beweise gegen Rafael sammeln ließen.
Sie und Cotton plauderten ein wenig, während sie auf das Genie Jackson warteten. Etwa fünfzehn Minuten später klopfte jemand höflich an die Tür und wartete ab, bis Cotton laut sagte: »Komm rein.«
Xavier Jackson war jung, vielleicht in ihrem Alter, dazu schlank, dunkel und gutaussehend, mit leicht exotisch
wirkenden Gesichtszügen und olivbrauner Haut. Er war eleganter gekleidet als die meisten FBI-Angestellten, die sie bisher im Gebäude gesehen hatte; obwohl er den obligatorischen nüchternen Anzug mit weißem Hemd trug, war doch seine Krawatte in einem vollen Dunkelrot gehalten, auf dem sie, als sie genauer hinsah, in noch dunklerem Rot ein winziges Muster aus stilisierten Pferden erkannte. Aus seiner Brusttasche ragte statt des gebügelten weißen Taschentuches ein ebenso tiefroter Stoffzipfel. Alles in allem war er ein bisschen schicker, er wirkte behänder, und sein Akzent war so wenig einzuordnen wie der eines Nachrichtensprechers. Er hatte eindeutig einen Haifischblick, aber im Gegensatz zu Agent Hulsey zeigte er gegenüber Agent Cotton tiefen Respekt.
Keiner von beiden würde in naher Zukunft sterben.
Sie spürte das, pflückte die plötzliche Überzeugung aus der Luft wie einen reifen Apfel, der vor ihrer Nase baumelte, sah aber keinen Anlass, es den beiden zu verraten. Jackson hielt sich ohnehin für kugelfest, und Cotton freute sich schon auf die Pensionierung, wenn er mehr Zeit mit seiner Frau verbringen und Dinge tun konnte, die ihm Spaß machten. Ihr Geist wurde nicht von Todesangst getrübt, darum sprach Andie das Thema gar nicht an.
Jackson sah sie fassungslos an. »Sind Sie wirklich Drea Rousseau?«
Sie lachte, und er erklärte sofort: »O ja, dieses Lachen ist unverkennbar.« Neugier leuchtete in seinen Augen auf. »Ich dachte, Sie wären vielleicht gestorben. Sie waren wie vom Erdboden verschwunden.«
»Absichtlich«, versicherte sie ihm. »Um mein Leben zu retten.«
»Salinas will Sie umbringen lassen?«
»Das wollte er. Nachdem ich die Stadt verlassen hatte,
hatte ich einen schweren Unfall, nach dem irrtümlich verbreitet wurde, ich sei gestorben, was mir im Gegenteil das Leben gerettet hat, weil Salinas daraufhin seine Bluthunde zurückpfiff.« In Wahrheit hatte es nur einen Bluthund gegeben, und der hatte Rafael persönlich gemeldet, dass sie gestorben war, doch sie wirkte weitaus glaubhafter, wenn sie die
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