Süße Rache: Roman (German Edition)
lag; andernfalls wäre ihr vielleicht das Herz stehen geblieben, aber so konnte sie deutlich sehen, dass niemand bei ihr war. Sie war endlich allein.
Sie hatte von dem Killer geträumt, sie hatte geträumt, dass er sie irgendwie in diesem Motel aufgespürt hatte, in ihr Zimmer eingedrungen war und dass er sie diesmal nach dem Sex tatsächlich umbringen wollte. Sie hatte ihn nicht sehen können, aber sie hatte gespürt, dass er irgendwo im
Schatten lauerte und sie beobachtete. Weil es ein Traum gewesen war, hatte sie eigenartigerweise gewusst, dass er ihr nichts antun konnte, solange sie wach blieb, aber obwohl sie sich alle Mühe gab, die Augen offen zu halten, war sie immer schläfriger geworden, bis sie schließlich nicht mehr konnte und eingeschlummert war – mal ehrlich, dass sie träumte, sie müsse wach bleiben und schliefe stattdessen ein, war ihr noch nie passiert -, nur um kurz darauf wieder aufzuwachen und festzustellen, dass er auf ihr und in ihr war und seine Hände um ihre Kehle gelegt hatte.
In diesem Moment war sie wirklich aufgewacht, gegen ein Phantom kämpfend und vollkommen durchfroren, weil die Panik sie in ihren eisigen Klauen hielt.
Obwohl sie geträumt hatte, obwohl sie im Traum gewusst hatte, dass er sie umbringen würde, hatte sie sein Glied so real gespürt, dass sie beinahe gekommen wäre. Hellwach, wütend und zutiefst beschämt, obwohl niemand je erfahren würde, was für eine dumme Kuh sie war, stand Drea auf und trat ans Waschbecken, um ein Glas Wasser zu trinken.
Sie schaltete das Licht an und starrte sich im kalten Neonlicht an. Sie war nackt, weil sie auf ihrer Flucht nichts zum Wechseln mitgenommen hatte. Die Unterwäsche hatte sie im Waschbecken ausgewaschen und zum Trocknen über einen Kleiderbügel gehängt.
Normalerweise trug sie einen Pyjama; hatte das ungewohnte Gefühl, nackt zu schlafen, den Albtraum ausgelöst? Denn nichts anderes als ein Albtraum war es gewesen. Obwohl sie wusste, dass sie allein war, sah sie im Spiegel an ihrem Gesicht vorbei, als würde sie damit rechnen, dass er plötzlich hinter ihr stand.
Der Raum war geschnitten wie jedes andere Motelzimmer, Waschbecken und Ablage waren in einer Nische an
der Rückwand untergebracht, Toilette und Dusche separat in einem kleinen Raum. Es gab keinen zweiten Ausgang, erkannte sie; wenn sie ihr hierher gefolgt waren, konnte sie nicht mehr fliehen. Am liebsten wäre sie sofort aus dem Zimmer gestürzt, doch dann meldete sich ihre Vernunft. Hier drin war sie relativ sicher; selbst wenn Rafael schon gemerkt hatte, dass sie sein Bankkonto geplündert hatte, was unglaubliches Pech wäre, selbst wenn er daraufhin irgendwie an das Überwachungsband der Bücherei gekommen war und wusste, wie sie jetzt aussah, hatte sie das Taxi so oft gewechselt und war so weit zu Fuß durch die Stadt geeilt, dass er ein paar Tage brauchen würde, bevor er die einzelnen Puzzleteilchen zusammengesetzt hatte und ihre Fährte aufnehmen konnte.
Sie konnte risikolos abwarten, bis sie das Geld einkassiert hatte, bis sie ihre Haare geschnitten und gefärbt hatte, bis sie sich neue Anziehsachen und einen Gebrauchtwagen gekauft hatte. Sie durfte nicht in Panik geraten. Der Traum hatte sie völlig verstört.
Trotzdem konnte sie nicht wieder einschlafen, nachdem sie das Licht ausgeschaltet hatte. Sie wollte nicht noch einmal von ihm träumen, sie wollte ihn nicht in ihrer Nähe haben, nicht mal im Unterbewusstsein. So lag sie wach in der Dunkelheit und erduldete die vorbeischleichenden Minuten, die sie viel zu langsam der Morgendämmerung und ihrem neuen Leben näher brachten. Es brachte nichts, wenn sie sich den Kopf über die Vergangenheit zerbrach; stattdessen konzentrierte sie sich auf das, was vor ihr lag. Sie war jetzt Millionärin; vielleicht würde sie sich ein Haus kaufen, ihr ganz eigenes Haus. Sie hatte noch nie ein eigenes Heim besessen. Wenn sie es recht überlegte, hatte es seit vielen, vielen Jahren keinen Ort mehr gegeben, den sie als ihr Heim betrachtet hatte.
Der Morgen kam, und Drea wagte sich aus ihrem Zimmer, um etwas zu essen. Nachdem sie den Abend nur mit Crackern und Chips aus dem Automaten am Treppenaufgang überstanden hatte, war sie am Verhungern. Sie entdeckte ein kleines Café, das so überfüllt war, dass sie auf einen freien Hocker an der Theke warten musste, statt allein in einer Nische sitzen zu können. Endlich saß sie eingezwängt zwischen zwei massigen Mackern, die aussahen wie Bauarbeiter oder
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