Süße Rache: Roman (German Edition)
weil sie kein Gepäck dabeihatte, das sie rauf und runter schleppen musste.
Der Teppichboden im Zimmer war fleckig und abgetreten, die Möbel waren klapprig, aber wenigstens stank es nicht im Zimmer. Drea hatte ohnehin keinen Blick für die Einrichtung übrig, sondern suchte sofort nach dem Telefonbuch. Als sie es endlich gefunden hatte – es war angekettet -, schlug sie die gelben Seiten auf, suchte einen Friseursalon nahe der Bank heraus und rief dort an. Erst der fünfte Friseursalon hatte einen Termin am nächsten Vormittag um zehn Uhr frei.
Das war erledigt. Sobald morgen früh die Bank öffnete, würde sie die hunderttausend Dollar abheben, dann direkt zum Friseur gehen, um ihre Haare schneiden und färben zu lassen, und schon war sie abreisebereit. Sie würde einen Gebrauchtwagen kaufen, den sie bar bezahlte, und in Richtung Westen aufbrechen.
Sie war frei.
8
Rafael gab sich alle Mühe, nur seinen Zorn zu zeigen; seine Männer sollten auf keinen Fall glauben, dass Drea ihm wichtig war. Dabei war der Zorn im Augenblick bei Weitem nicht das stärkste Gefühl. Stattdessen empfand er hauptsächlich Angst, eine eisige, lähmende Angst, die er einfach nicht abschütteln konnte. Bis Armando ihm Dreas Portemonnaie gezeigt hatte, das ein Kind hinter einem Abfalleimer vor der Bücherei gefunden und pflichtbewusst abgegeben hatte – der kleine Spießer -, hatte Rafael geglaubt, dass sie ihm vielleicht eine Lektion erteilen wollte, obwohl das gar nicht zu der Drea passte, die er kannte. Jetzt konnte er sich nicht mehr mit dieser Theorie trösten, denn dagegen sprach das Portemonnaie, in dem zwar kein Bargeld und keine Ausweise mehr steckten, dafür aber ihre Kreditkarten.
Ein dummer Dieb hätte das Bargeld und die Kreditkarten herausgenommen und eine Shoppingtour gestartet, durch die er die Bullen direkt auf seine Spur geführt hätte. Ein intelligenter Dieb hätte das Bargeld genommen und die Karten zurückgelassen. Ihr Führerschein war ebenfalls verschwunden. Identitätsdiebstahl war ein großes Geschäft, und ein gültiger Führerschein war einiges wert. Wenn er Dreas Verschwinden und die zurückgebliebenen Kreditkarten, von denen nicht eine fehlte, kombinierte, war das wahrscheinlichste Szenario keines, das ihm besonders gefiel. Ihm blieb nicht einmal die Hoffnung, dass die Feds sie einkassiert hatten – wobei Drea ihnen sowieso nichts gebracht hätte, außer das FBI wollte ihre Kenntnisse im Shopping anzapfen -, denn die hätten nicht ihr
Bargeld geklaut und danach das Portemonnaie weggeworfen.
Er hatte Feinde, und zwar viele. Falls einer davon Drea geschnappt hatte, war sie so gut wie tot. Vielleicht durfte sie noch eine Weile am Leben bleiben, um ihn unter Druck zu setzen, trotzdem würde er sie, wenn überhaupt, nur in Einzelteilen wiedersehen. In seiner Welt war Gewalt alltäglich; nur Geld und Überleben zählten. Es war eine Welt, in der er sich hervorragend schlug, ein Geschäftsmodell, das auf ihn zugeschnitten war, aber jetzt wurde ihm ganz übel bei der Vorstellung, wie seine süße, dumme Drea vergewaltigt und gefoltert würde.
Er hatte seine Männer im Penthouse versammelt, dem einzigen Ort, an dem seine Gespräche mit Sicherheit nicht abgehört wurden. Orlando wusste, was er tat, darum hatte Rafael den ganzen Sicherheitsschnickschnack angeschafft, der es den Feds unmöglich machte, jedes seiner Worte zu belauschen. »Jemand muss irgendwas gesehen haben. Es gibt doch an allen Aus- und Eingängen Kameras, richtig?« Die letzte Frage war an Orlando gerichtet.
»Eigentlich schon, aber wer weiß, was für eine Sicherheitsanlage sie haben. Wer bricht schon in eine Bücherei ein? Ich werde mal sehen, was ich rausfinden kann.«
Einen Durchsuchungsbefehl würden sie mit Sicherheit nicht bekommen – niemand schlug das auch nur vor. Die Bullen rufen? Sehr witzig. Die Bullen würden mit ihrer legalen Scheiße rumpissen – falls sie überhaupt was unternehmen würden. Rafael wollte keine Zeit mit diesem Kinderkram verlieren; er würde das auf seine Weise regeln. Er würde herausfinden, wer Drea geschnappt hatte, und dem Scheißer dann alles um die Ohren hauen, was er aufbieten konnte.
»Vielleicht ist sie ihre Börse suchen gegangen, nachdem
sie gemerkt hat, dass sie das Ding verloren hat«, schlug Hector vor.
»Blödmann«, knurrte Armando säuerlich. »Warum geht sie dann nicht an ihr Handy?«
»Vielleicht hat ihr jemand die Handtasche geklaut, sie ist ihm nach und hat sich dabei verlaufen.«
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