Sueße Versuchung
Zofe. »Lassen Sie mich rein.«
Sophie schniefte nur auf.
»Miss Sophie. Es hat keinen Sinn. Lady Elisabeth wird zornig werden.«
Sollte sie nur. Mochten die beiden Hexen dort unten nur warten, bis sie schwarz wurden – sie hatte nicht die Absicht, sich deren Bosheiten länger auszusetzen. Und wenn alle fort waren, packte sie ihre Sachen, holte Rosalind aus dem Stall und ritt nach Hause. Sie hatte nicht viel Bargeld, aber es genügte, um auf dem Heimweg in billigen Gasthöfen übernachten zu können und auch noch einen Stallplatz für Rosalind zu erhalten.
»Miss Sophie? Wollen Sie wirklich klein beigeben?« Die Zofe flüsterte durch den Türspalt. »Ich habe gesehen, was passiert ist. Lassen Sie ihr doch nicht die Genugtuung.«
Sophie hob den Kopf und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen.
»Lassen Sie mich hinein, Kindchen. Vielleicht kann man doch etwas machen.«
Sophie stand zögernd auf und öffnete die Tür.
Jane huschte herein und betrachtete Sophies Kleid. Sie hob den Rocksaum auf und schüttelte traurig den Kopf. »Das ist zu weit oben. Hier müsste man den Riss kunstvoll flicken, sonst fällt es sofort auf. Zu dumm.« Sie zog ein Tüchlein hervor und reichte es Sophie. »Hier, Kleines, putzen Sie sich einmal ordentlich die Nase. Und waschen Sie sich ihr Gesichtchen. Ich hole in der Zwischenzeit Ihr blaues Kleid heraus.«
»Das ist aber nicht so schön …«
»Nein, aber im Moment haben wir nichts anderes. Und ich verspreche Ihnen, auf dem nächsten Ball werden Sie wieder mit diesem Tüllkleid glänzen. Nur«, fügte sie grimmig hinzu, »sollten Sie dann darauf achten, wer hinter Ihnen in die Kutsche steigt.«
Ein wenig später stand Sophie in ihrem alten blauen Kleid vor dem Spiegel. Sie hatte es bis zu diesem Moment immer recht hübsch gefunden, aber nun erkannte sie den Unterschied. Es war ein wenig abgetragen und entsprach schon lange nicht mehr der neuesten Mode, wenn man Augustas Modekupfer Glauben schenken konnte. Zudem war es – wie Augusta einmal bemerkt hatte – eher für eine Bäuerin geeignet als für eine Dame von Stand. Es war weit ausgeschnitten und man trug ein Tuch darüber, das mit einer Brosche gehalten wurde. Sophie staunte jedoch nicht schlecht, als Jane verschwand und kurz danach mit einem hübschen, mit Spitzen besetzten Seidentuch ihrer Tante wieder auftauchte.
»Es ist nur recht und billig, wenn Sie sich das ausleihen.«
Nach fünfzehn Minuten war Sophie tatsächlich in der Lage, zumindest äußerlich gefasst wieder in die Kutsche zu steigen. Sie warf Augusta einen verächtlichen Blick zu, drängte sich in die andere Ecke und starrte zum Fenster hinaus. Sie wusste jetzt schon, wie der Abend weiterging. Augusta würde sie wieder abfällig behandeln, die anderen würden sie übersehen, und sie selbst am Rand sitzen und zuschauen, wie sich alle amüsierten.
Aber das war das letzte Mal. Morgen reiste sie ab und ließ das alles hinter sich.
* * *
Edward Harrington hatte es geschafft, sich aus den Fängen zweier hoffnungsvoller Mütter und deren kichernden Töchter zu befreien, und schlenderte nun, nach allen Seiten nickend, zu einem der Fenster, um im Schutz einiger Zimmerpflanzen ein wenig Ruhe zu finden. Es war ohnehin schon ein Fluch, inmitten dieser Gesellschaft als interessantes Heiratsobjekt zu gelten, aber der Abend war noch schlimmer, als er gedacht hatte: Die gesamte Eastbourner Mutterschaft schien wild entschlossen zu sein, ihre Töchter unter die Haube zu bringen. Wäre da nicht Mrs. Summers gewesen, die er sehr schätzte, und die schon mit seiner Großmutter befreundet gewesen war, so hätte er schon längst einen Grund gesucht, das Fest wieder zu verlassen.
Zu seinem Unmut fand er die Fensternische bereits von einer jungen Frau besetzt, die mit gesenktem Kopf und mit dem Rücken zum Raum am Fensterbrett lehnte und abwechselnd an ihrem Fächer und ihrem Ridikül herumzupfte. Edward wollte schon kehrtmachen und sich ein anderes Versteck suchen, als sie den Kopf wandte, und er ihr Profil sah.
Für einige Augenblicke stand er starr vor Verblüffung da, dann stieg eine unerwartete, heftige Freude in ihm hoch, und er machte zwei schnelle Schritte auf das Mädchen zu. Sie hörte ihn kommen, drehte sich hastig weg und gab vor, aus dem Fenster zu sehen.
Er blieb dicht hinter ihr stehen. »Einen wunderschönen Abend, Bengelchen.«
Sie fuhr herum. Weitgeöffnete Augen, volle, zu einem Ohhh geformte Lippen. »Sie …« Ihre Stimme erstarb.
»Ja, ich.
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