Sueße Versuchung
Malcolm das Geld nicht hatte zusammenbringen können, war er mit hängendem Kopf zu ihrem Vater gegangen und hatte gebeichtet. Vater McIntosh hatte ihm ohne mit der Wimper zu zucken das Geld gegeben. Ihr Bruder hatte bezahlt, und dann hatte er ein halbes Jahr lang den Stall ausmisten müssen. Er hatte nie wieder gespielt. Sophie fand, dass diese Erziehungsmethode Henry auch nicht geschadet hätte. Allerdings fragte sie sich, was ihr Vater als angemessene Buße für den zehnfachen Betrag angesehen hätte.
»Und wie kommt dann Captain Hendricks dazu, dich zu erpressen?«
»Das war anders …« Henry wand sich, aber Sophie ließ nicht locker. »Ich hatte die Spielschulden, wusste aber nicht, wie ich die bezahlen sollte. Mutter hätte mir geholfen, aber du weißt ja – sie hat selbst kein Vermögen, und als ich zum Geldverleiher ging, sprach mich ein Mann an. Er meinte, dass ich ganz einfach zu Geld kommen könnte, indem ich Sachen verkaufe.«
»Was für Sachen?« Sophie setzte sich neben ihn auf das Bett.
»Verschiedene Dinge, auf denen hohe Zölle liegen. Alkohol. Gewürze. Und auch Schmuck. Sie sagten, das wäre für mich einfacher. Überhaupt, was den Schmuck betrifft, weil ich da einem Pfandleiher in London einreden könnte, dass es sich um Familienerbstücke handelt.«
»Schmuck? Die schmuggeln Schmuck?« Sophies Augen wurden schmal, als sie die Wahrheit erkannte. »Das ist Diebesbeute! Du vertreibst auch noch Hehlerware? Bist du verrückt?!«
»Sie sagen, das wäre von Wracks. Oder Prisenanteile …«
»Piratengut!«, fuhr Sophie ihn an. »Ich bin vielleicht in einer Höhle aufgewachsen und kenne deinen lächerlichen Schneider nicht, aber ich kenne sehr wohl die Gesetze!
Und du wirst, wenn du dich nicht losmachen kannst, am Galgen enden!«
»Hör auf. Mal den Teufel nicht an die Wand«, stöhnte Henry. »Außerdem bin ich dabei, mich loszusagen. Captain Hendricks will mir dabei helfen, hat er gesagt.«
»Captain Hendricks! Bist du wirklich so dumm? Er gehört doch zu den Schmugglern und wohl noch schlimmer – sehr wahrscheinlich zu den Piraten! Wenn er wirklich ein Kapitän ist, dann von einem Piratenschiff! Und es hat nicht so geklungen, als würde er dich aussteigen lassen! Er hat dir sogar mit irgendeinem Anführer gedroht!«
»Das … das kann schon sein … aber er hat trotzdem gesagt, wenn ich ihm jetzt noch einige Zeit helfe, dann kann ich bald frei kommen.«
»Womit genau erpresst er dich?«, bohrte Sophie nach. »Hat er etwa Wechsel deiner Spielschulden?«
»Ja, er hat sie an sich gebracht, obwohl ich sie schon längst hätte bezahlen können.
Und er will der Polizei einen Hinweis geben, wenn ich nicht spure, sagt er.«
»Einen Hinweis. So.« Sophies Augen blitzten. Der Mann war gewissenlos, das wusste sie seit dem Gespräch im Obstgarten. »Er sollte sich lieber vorsehen, dass niemand anderer einen Hinweis über ihn gibt!«
Vielleicht hätte sie sofort, nachdem sie Henry und Captain Hendricks belauscht hatte, mit der Polizei sprechen sollen. Oder gleich mit Sir Winston. Aber da hatte sie noch nicht gewusst, wie weit und weshalb Henry in der Sache steckte.
»Sophie?« Henrys drängende Stimme riss sie aus ihren Gedanken. »Sophie, du wirst doch Mutter nichts sagen, nicht wahr?«
Sophie schnaubte abfällig. »Wofür hältst du mich? Hast du eigentlich von Anfang an auch die Wagen mit dem Schmugglergut gefahren?«, fiel ihr ein.
»Nein, anfangs nicht. Da wollten sie nur, dass ich die Sachen für sie verkaufe.«
»Damals hat aber nicht Captain Hendricks dich angesprochen, oder?«
»Nein, das war ein anderer. Den ich nie wieder gesehen habe. Und dann war plötzlich Hendricks mit von der Partie.« Henry dachte nach. »Er war es, der die Idee hatte, dass ich auch mit den Wagen fahren sollte.«
»Natürlich«, meinte Sophie erzürnt. »Damit hatte er dich endgültig in der Hand!
Vorher hättest du behaupten können, dass du nicht weißt, dass das Zeugs von den Schmugglern oder von Piraten stammte. Aber wenn du die Sachen auch noch in der Gegend herumkutschierst …« Sophie sah ihren Vetter kopfschüttelnd an. »Du bist wirklich dämlich, Henry.«
»Na hör mal!«
»Ach, sei still.« Sie winkte ab. »Ich muss nachdenken, überlegen, was wir tun können, um dich von diesen Leuten loszueisen.« Seltsamerweise fiel ihr in diesem Zusammenhang an erster Stelle Lord Edward ein. Er wüsste sicherlich, was hier zu tun war.
Henry lachte bitter auf. »Loseisen? Glaubst du nicht, dass ich das
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