Suesser Als Blut
versucht, mit ihr zu reden, aber ihr Hausarzt hat ihr starke Beruhigungsmittel verabreicht; sie ist nicht ansprechbar.« Ein Zirpen ertönte, und Alan fasste sogleich in seine Jacketttasche und holte sein Handy hervor. Mit einem erleichterten Lächeln sagte er: »Mein Anwalt.«
Zufall oder nicht, es sah gar nicht gut aus für Mr. Oktober.
Ich entfernte mich ein paar Schritte von Alan, damit er ungestört telefonieren konnte. Dies war nicht mein erster Besuch bei Old Scotland Yard – und »gemütlich« war nicht gerade das Adjektiv, das einem beim Anblick des Interieurs in den Sinn kam: nackte Glühbirnen, überschattet von kegelförmigen Metallschirmen, hingen an langen Ketten von der hohen Decke. Den weitläufigen Flur bedeckte ein suizidgrauer, schon ganz zerkratzter Linoleumbelag. Gegenüber der Holzklappe, die den Empfang vom Besucherbereich abtrennte, stand eine Reihe hässlicher Plastikstühle. Zwei davon waren derzeit besetzt.
Das einzig Angenehme war die Klimaanlage. Ich blieb unter einem Ventilator stehen und ließ die kühle Luft über meine erhitzte Haut streichen. Eine rundliche Polizeibeamtin mit Haaren wie ein Wischmopp streckte kurz ihre Nase über den Empfangstresen. Ich wies lächelnd auf Alan. Sie starrte mich einen Moment lang an, und ihre Miene nahm einen höchst unfreundlichen Ausdruck an. Ohne ein Wort zu sagen, tauchte sie wieder ab.
Wie nett. Ich schüttelte den Vorfall mit einem mentalen Schulterzucken ab. Es gibt überall Menschen mit Vorurteilen, die Polizei bildet da keine Ausnahme.
Mein Blick richtete sich auf die beiden besetzten Stühle. Auf einem saß ein junger Mann, Mitte zwanzig, in einem eleganten Anzug und einem penibel gestutzten Van-Dyke-Bärtchen, dessen Blond ein wenig dunkler war als sein ebenso penibel gestutztes, mit hellblonden Strähnchen durchsetztes Haar. Ein schwarzrotes Kreuz war an sein Revers gepinnt.
Das musste der Souler sein.
Er saß kerzengerade auf der Stuhlkante, trommelte mit den Fingern auf die Messingschnalle seiner Aktenmappe, die er aufgestellt auf dem Schoß hielt, und blickte aufmerksam zwischen Alan und mir hin und her.
Neben ihm saß ein Kobold. Er sah aus wie ein Mini-Schwarzenegger oder ein allzu muskulöses Kind. Seine Füße hingen zwanzig Zentimeter über dem Boden. Er ließ sie langsam vor und zurück baumeln, und die Reflektoren an seinen Turnschuhen blinkten dabei rot auf. Dicke, schwarz gefärbte, eingedrehte Korkenzieherlöckchen wippten auf seiner leberfleckigen Stirn. Er trug eine Sonnenbrille, deren Gläser sich auch über die Schläfen zogen, um seine lichtempfindlichen Augen zu schützen. Aber man hätte blind sein müssen, um diesen Kobold mit einem Kind zu verwechseln: Er saß kerzengerade da, und seine breiten Schultern drohten die Nähte seines marineblauen Overalls zu sprengen. Auch er trug ein schwarzrotes Kreuz über einem blinkenden Union-Jack-Badge. Auf seiner rechten Brust prangte in verschnörkelten goldenen Lettern die Aufschrift Goblin Guard Security – der hiesige Koboldwachdienst. Auf seinem Schoß lag ein mit Silberfolie umwickelter Knüppel, der Ähnlichkeit mit einem Baseballschläger hatte.
Ich spürte, wie ich mich unwillkürlich verspannte: Das war ein Knüppelkobold. Ich hatte ganz vergessen, dass die Souler Knüppelkobolde anstellten, anstatt die friedlichen Monitorkobolde, die gewöhnlich von Menschen engagiert wurden, wenn sie geschäftlich mit Vampiren oder Magie in Kontakt kamen. Der einzige Ort, an dem man normalerweise »Knüppler« sieht, wie sie auch genannt werden, war in Sucker Town.
Ich ließ meine Schultern kreisen, um die Verspannung zu lockern. Als ich das tat, richteten sich die blanken Augen des Kobolds langsam auf mich. Seine katzenähnlichen Ohren zuckten. Er nahm seinen Knüppel in die rechte Hand, mit der linken fuhr er sich an die Nase und strich mit dem Zeigefinger über die skiabhangähnliche Neigung bis zur Nasenspitze. Anschließend deckte er kurz mit der Hand seinen Mund zu.
Das war der traditionelle Koboldgruß. Und jeder Kobold, dem ich bisher begegnet war, bezeugte mir, einer Sidhe, auf diese Weise seinen Respekt, ob ich ihn nun kannte oder nicht.
Nur das mit dem Abdecken des Mundes gilt heutzutage bei den Londoner Kobolden als ein wenig altmodisch.
Ich erwiderte seinen Gruß, obwohl er ihn bei dem grellen Neonlicht wahrscheinlich gar nicht wahrnehmen konnte. Aber er würde spüren, dass ich es getan hatte.
Dann bohrte ich seufzend meine Finger in die nervig pochende
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