Suesser Als Blut
kennen sich bereits.«
Kacke. Jetzt hatte ich die Wahl: Sollte ich versuchen, mich gewaltsam aus seinem Griff zu befreien, oder sollte ich mich von ihm festhalten lassen wie ein unfolgsames Kind?
Ich entschied mich für Ersteres.
»Lassen Sie das«, zischte der Earl.
Malik glitt auf uns zu, und ich vergaß alles, den Earl, meine
prekäre Situation. Malik bewegte sich mit unglaublicher Grazie, beinahe schwerelos.
»Du treibst ein gefährliches Spiel, Oligarch «, sagte er zum Earl. Seine Stimme klang derart bedrohlich, dass ich unwillkürlich erschauderte. Ich schluckte. Mein Magen flatterte wie ein Schwarm nervöser Libellen.
Der Earl lächelte, von einer schimmernden blauen Aura umgeben. »Ich bin, scheint mir, nicht der Einzige.«
Malik blieb unangenehm nahe vor uns stehen. »Pass lieber auf, dass es nicht dein letztes Spiel wird.«
Ich hatte ihn schon draußen für wütend gehalten, doch das war nur ein Sturm in der Teetasse des Earls gewesen, im Vergleich zu dem, was ich jetzt in seinen Augen las. Ich hielt den Atem an, versuchte, mich möglichst unsichtbar zu machen. Dann richtete sich die Hitze seines Blicks auf mich, veränderte sich, umschmeichelte mich wie eine warme Brise. Es roch auf einmal nach exotischen Gewürzen.
Der Earl hielt sich sein Schnupftüchlein an die Nase. »Immer noch der treue Diener, was? Spielst noch immer den Voyeur für deinen Meister. Kein Spiel, das mir schmecken würde.« Er riss an meinem Arm. »Aber ich teile ja auch nicht deinen etwas eklektischen Geschmack. Und vor allem habe ich nicht das Bedürfnis, meine Beute zu brandmarken wie ein wildes Tier.«
Was, zum Teufel?
Ich blickte schockiert auf mein Handgelenk. Die Blutergüsse waren rot aufgeblüht, und Blut sickerte aus den Wunden: ein Armband aus warmen, lebendigen roten Perlen. Mein Puls schnellte hoch, und aus den Perlen wurde ein dünnes Rinnsal.
Eine bleiche Hand schloss sich behutsam um mein Handgelenk. »Verzeih, Genevieve.« Maliks kühle Stimme drang in mich ein, und eine herrliche Ruhe machte sich in mir breit. »Ich wollte dir nicht wehtun.«
Ich blickte zu ihm auf. Ein trauriger, bekümmerter Ausdruck
lag in seinen samtschwarzen Augen, auch las ich darin den Wunsch, mein Blut noch einmal zu kosten …
Aber er wandte sich von mir ab und ging zum Ausgang. Dabei verdunkelten sich die Deckenlampen, und Schatten, die unmöglich existieren konnten, flossen aus seinem Anzug, krochen an ihm empor und verschlangen ihn. Er war verschwunden.
Ein lauter Knall ließ mich herumfahren.
Constable Lamber duckte sich durch die Tür. »Sie sind noch da, Miss? Constable Sims hat gesagt, Sie wären mit den anderen gegangen.«
Ich blickte mich verwirrt um.
Die Eingangshalle war leer.
Verdammt . »Wo sind sie alle hin? Was ist aus den Vampiren geworden?«
Er zuckte die Schultern. »Wie gesagt, Miss, alle sind gegangen …« Er warf einen Blick auf seine Uhr. »Schon vor einer halben Stunde oder so. War ein ganz schönes Durcheinander, das alles.« Über seinem fleckigen, kahlen Schädel bildete sich eine Staubwolke. »Eine Schande, das mit dem kleinen Kobold. Hat den Sergeant richtig getroffen. Hat sich vor zehn Minuten vom Dienst abgemeldet und ist gegangen.« Tiefe Furchen erschienen auf seiner Stirn. »Sind Sie sicher, dass bei Ihnen alles in Ordnung ist, Miss?«
Nein, war ich nicht: Zu viele Fragen, und keiner war mehr da, der sie mir hätte beantworten können.
Zum Glück für mich kannte ich einen Vampir, der genau das konnte.
11. K apitel
D as Tir na n’Og , oder, wenn man des Gälischen nicht mächtig ist, das Bloody Shamrock , liegt in einer schmalen Seitenstraße, die von der Shaftesbury Avenue abzweigt. Es ist eins der ältesten irischen Pubs von London und wird seit Jahrhunderten von der mit Fangzähnen ausgestatteten Bevölkerungsschicht frequentiert.
Natürlich macht die Bar erst seit wenigen Jahren mit dieser Tatsache Werbung.
Ich bog um die Ecke und stieß sogleich auf das Ende der langen Schlange, die sich vor dem Eingang gebildet hatte. Etwa fünfzig Hoffnungsvolle, die geduldig in der mit einer roten Kordel abgesperrten, von Messingstangen gehaltenen Zone ausharrten. Bis auf ein paar unvermeidliche, in schwarzes Leder gekleidete Gothics , auch Goths genannt, herrschte der sportlich-elegante Stil vor. Nur einige Uneingeweihte – Touristen natürlich – trugen glitzernde Abendgarderobe. Ich war also in meiner schwarzen Leinenhose und der weißen Leinenweste wenigstens nicht fehl am Platz –
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