Süßer König Jesus (German Edition)
sehen, und sie würde mich beißen, und ich würde laut schreien, und alle kämen angerannt. Sie wäre natürlich giftig, klar, und man würde mir sagen, alles werde gut, Hilfe sei im Anmarsch, und das müssten sie mir eine Million Mal versprechen, und ich würde es ihnen glauben und dann, noch eh ich kapiert hätte, was geschah, würde ich sterben.
Kurz vor den Büschen hockte ich mich hin. Nichts währt ewig, dachte ich. Aber jetzt bin ich hier. Genau jetzt, in diesem Moment, pinkle ich auf ein Feld. Ich hätte noch länger pinkeln können, doch ich schüttelte mich, zog meine Shorts hoch, lief, indem ich die Füße weit übers Gras hob, zurück – immerfort nach Schlangen suchend.
»Jetzt muss ich«, sagte Elise, »aber ich halt’s zurück.« Ich saß neben ihr am Straßenrand und sah zu, wie sie einen Knoten in ihr Shirt machte, so dass man ihren Bauch sah. Mein Vater bat nicht um meine Hilfe. Er war immer noch damit beschäftigt, das Werkzeug auf dem Pflaster auszubreiten. Er hatte es bereits geschafft, seine Hosen zu zerreißen, obwohl er noch gar nichts getan hatte. Ich begann über seine Schwächen nachzudenken, es waren so viele, und er schien sich ihrer in keinster Weise bewusst zu sein. Ich überlegte, was ich wohl für Schwächen hatte, oder was die Leute für meine Schwächen hielten.
»Drück dir keine Steinchen in die Hände«, sagte ich.
»Keine Angst«, sagte Elise. »Kümmer du dich um dich selber.«
»Schön, und du sei die Zicke.«
»Die bremsen«, sagte Elise, als ein weißer Pick-up auf den Seitenstreifen bog.
»Jetzt halten sie. Jetzt steigen sie aus.«
Ich sah mich um – andere Autos waren nicht in Sicht. Kaum zu glauben, dass so viel Geld ausgegeben worden war, um eine Straße zu bauen, auf der so wenige Menschen reisten.
Drei Männer stiegen aus, ein älterer und zwei jüngere. Der Ältere lächelte dieses Lächeln, das beabsichtigt, dir ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln, also tut es genau das nicht. Er war groß und glattrasiert, trug Jeans und Cowboystiefel. Ich hatte Angst vor den dreien, sagte mir aber, dass ich vor allen Männern Angst gehabt hatte, die je, um uns zu helfen, an die Seite gefahren waren, meine Angst hatte also nichts zu bedeuten. Höchstens, dass sie außer Kontrolle geraten war, da ich ja unablässig Angst hatte. Meine Mutter sagte, ich sei ein pflegeleichtes Kind gewesen: eine schnelle Geburt. Ich sei praktisch aus ihr herausgefallen. Sie sagte, ich hätte gut geschlafen, hätte fremden Leuten die Arme entgegengestreckt und sei mit elf Monaten von selbst auf den Topf gegangen. Ich erinnerte mich nicht an dieses pflegeleichte Kind. Bestimmt war diese Person, die ich am Anfang gewesen war, mein wahres Selbst.
»Probleme mit dem Wagen?«, fragte der Ältere. Seine Gürtelschnalle war ein echter, ein tatsächlicher Schlangenkopf. Ich stieß Elise mit dem Ellbogen an, und sie löste den Knoten ihres Hemds.
»Eine Schlange«, sagte ich.
»Wie bitte?«
»Seine Gürtelschnalle.«
»Uns ist ein Reifen geplatzt«, sagte unser Vater und ging mit ausgestreckter Hand auf sie zu.
»Kein Problem«, sagte der Mann. »Krieg’n wir hin.«
Unser Vater protestierte kraftlos, dann bedankte er sich und trat zur Seite. Er stellte sich neben unsere Mutter, und wir stellten uns in einer Reihe daneben, wie die Figuren in dieser Flannery-O’Connor-Geschichte, die ich in der Schule gelesen hatte. Die Großmutter wollte nicht nach Florida.
Die einzige Zeile, an die ich mich erinnerte. Die Großmutter wollte nicht nach Florida . Ich weiß nicht, was an diesem Satz es mir angetan hatte, warum er mir im Kopf geblieben war.
Die Männer machten sich an die Arbeit, und Elise und ich hörten über geteilte Ohrhörer dieselben Lieder, während ich an den kuriosesten Stellen meines Körpers zu schwitzen begann. Der Schweiß lief mir die Seiten entlang, tropfte von Armen und Beinen.
»Gefällt mir«, sagte ich. »Wer ist das?«
»Katy Perry. Du weißt nicht, wer Katy Perry ist?«
»Natürlich kenn ich sie.«
»Was hat sie noch gesungen«, sagte sie und starrte auf einen der jüngeren Männer. Sie kratzte sich an der Schulter und fasste sich ins Haar, sie versuchte, seine Aufmerksamkeit zu erhaschen.
Als der ältere Mann trocken zu husten begann, fuhr ich zusammen und mein Herz ging schneller; jedes unerwartete Geräusch konnte mich zu Tode erschrecken. Meine Mutter hatte gesagt, das käme davon, dass ich vor dem Schlafengehen zu viele Romane von Stephen King lesen würde.
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