Süßer König Jesus (German Edition)
Ich putzte mir die Zähne und stieg, so leise ich konnte, ins Bett.
»Hast du mit ihm geschlafen?« Elise klang hellwach.
»Nein.«
»Prima.«
»Warum?«
»Mit einem schlafen, den man nie wieder sehen wird, bringt nichts«, sagte sie. »Das verletzt nur die Gefühle.«
»Ich hab es ihm gleich gesagt«, sagte ich und streckte meine Hand, auf der seine Handynummer stand, ins Dunkel. Hoffentlich verschmierte oder verblasste die Tinte nicht, eh ich sie eingetippt hatte.
»Das sagen alle Mädchen, bevor sie es tun«, sagte sie.
»Ha-ha.«
»Ich hab es auch gesagt, und danach hab ich’s getan«, sagte sie. »Manchmal ist es eben einfacher.«
»Das ist traurig.«
»Es ist keine große Sache.«
»Für mich ist es eine große Sache«, sagte ich.
»Weil du es noch nicht getan hast – meistens ist es wie nichts. Kaum zu glauben, dass etwas dermaßen Nichtiges einen so fertigmachen kann.«
Ich dachte an Gabes Schwanz in meiner Hand, wie er gekeucht hatte, als er kam, und wie er sich auf die Lippe gebissen hatte. Das hat noch keine mit mir gemacht, hatte er gesagt, nur mit der Hand.
»Du bist stärker als ich«, sagte Elise. Das hatte sie schon einmal gesagt, und ich hasste es, weil sie so offensichtlich stärker war als ich. Auch wenn in mancher Hinsicht ich stärker war. Das betraf aber Winzigkeiten, die sowieso niemand sah. Elise bat um etwas, und die Leute gaben es ihr. Sie redete, und die Leute hörten zu. Ich dachte an all die, denen ich begegnet war und die sich nicht einmal an mich erinnerten, Leute, denen ich mich immer wieder vorstellen musste, weil ich dermaßen wenig Raum in der Welt einnahm.
»Gute Nacht«, sagte ich.
»Gute Nacht«, sagte sie. »Ich liebe dich.«
Ich zog mein Hemd an die Nase und inhalierte, atmete Gabe ein und aus, ein und aus, bis ich nichts mehr riechen konnte.
Freitag
Als vom Nachbarzimmer aus an die Tür geklopft wurde, erwachte ich – das abrupte Ende eines schönen Traums, erst war er noch da, greifbar für meine Erinnerung, dann klopfte es noch mal – fordernder, und ich stieg aus dem Bett.
Meine Mutter stand da, aß einen Fiber-One-Riegel. »In einer halben Stunde fahren wir«, sagte sie, »euer Vater will heute noch bis Kalifornien.«
»Heute bis Kalifornien, völlig unmöglich«, sagte ich, obwohl ich nicht wusste, ob es möglich war oder nicht. Sie biss noch mal ab. Ich sah ihr nicht gern beim Essen zu – sie genoss es zu sehr und machte eine Menge Geräusche. »Ich will auch so einen.«
»Das ist der Letzte«, sagte sie. Sie zeigte mit dem Riegel auf mich, und ich nahm ihn, biss ein dickes, weiches Stück davon ab – als ich es im Mund hatte, schien es viel zu viel Arbeit zu machen.
Sie schloss ihre Tür, ich meine. Sie verriegelte das Schloss, also verriegelte ich meins. Ich stieg wieder ins Bett und versuchte, mich an meinen Traum zu erinnern, aber da war nichts, kein Bild, kein Gefühl, nichts. Ich lauschte den Stimmen meiner Eltern durch die Wand. Mir fiel auf, wie selten sie mehr als ein paar Worte miteinander sprachen, und dass sie hauptsächlich sprachen, um Information auszutauschen. Ich wünschte mir jemanden, dem ich alles erzählen konnte. Jemand, der eine Menge Zeit damit verbrächte, mit mir über nichts zu sprechen. Ich dachte an Gabe, sein blondes, fast weißes Haar, und wie ich ihn berührt hatte.
Ich ging zum Fenster und schaute auf den Parkplatz hinaus. Gabes Wagen war verschwunden. Er schlug jetzt irgendwo Nägel in ein Dach, trank schwarzen Kaffee, wie ein erwachsener Mann. Ich übertrug seine Nummer auf mein Handy und ging unter die Dusche. Irgendwas stimmte mit den Rohren nicht, die Leitungen gaben einen hohen, winselnden Ton von sich – dann eine Oktave rauf, dann wieder runter, und wieder rauf. Das heiße Wasser war alle, und ich stellte mich auf die Seite, wartete, dass es wiederkommen würde.
»Ich trag heute mal keinen König Jesus «, sagte Elise, als ich herauskam.
»Wen interessiert’s.«
»Die schon.«
»Ich glaub kaum, dass sie was sagen«, sagte ich.
»Klar sagen sie was, wieso auch nicht?«
Ich saß auf ihrem Bett und stupste sie durch die Tagesdecke hindurch. »Vielleicht haben sie Wichtigeres zu tun.«
»Zum Beispiel?«
»Sie reden jetzt seit einer halben Stunde«, sagte ich.
»Die reden nie.«
»Eben. Sag ich ja.«
»Wir waren still, lauschten, doch irgendwer stellte den Fernseher an – wahrscheinlich unsere Mutter.
Elise ging ins Bad, und ich schaute einen Film an, den ich schon mal gesehen hatte, Brad
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